Corona:Noch lange keine Normalität

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Das Schaufenster eines geschlossenen Kaufhauses in Frankfurt am Main. (Foto: dpa)

Alles deutet darauf hin, dass der bundesweite Lockdown über den 10. Januar hinaus verlängert wird. Die erste große Frage des Jahres lautet, ob das auch für die Schulen und Kitas gelten soll.

Von Boris Herrmann, Berlin

In dem Wunsch, das neue Jahr möge zumindest ein wenig normaler verlaufen als das zurückliegende, dürften sich die meisten Deutschen einig sein. Aber auch 2021 wird bereits wieder darüber gestritten, welche Art der alten Normalität sich dieses Land wie schnell leisten kann. Am Dienstag wollen die Ministerpräsidenten und Bundeskanzlerin Merkel darüber entscheiden, wie es weitergeht. Angesichts der weiterhin hohen Infektionszahlen deutet alles darauf hin, dass der bundesweite Lockdown dann über den 10. Januar hinaus verlängert wird. Die erste große Frage des Jahres ist, ob das auch für die Schulen und Kitas gelten soll.

Unter all den einstmals unvorstellbaren Dingen, die 2020 hinterlässt, sticht eines heraus: Dass die Kinder nicht mehr jeden Tag in die Schule gehen. Für viele Menschen ist das der stärkste Corona-Einschnitt im Alltag. Denn es betrifft nicht nur die Schulpflichtigen, sondern auch deren Eltern und Lehrer - allerdings auf höchst unterschiedliche Weise. Da konkurriert unter anderem das Recht auf Bildung mit gesundheitlichen Risiken. Und die Politik tut sich schwer, beidem gerecht zu werden. "Was man da auch macht, irgendwer ist immer unzufrieden", sagte Thüringens Bildungsminister Helmut Holter (Linke) der SZ.

Unzufriedene wird es auch nach dem nächsten Bund-Länder-Beschluss geben, so viel steht schon fest. Zum Jahresauftakt haben sich zwei potenzielle Kanzlerkandidaten der Unionsparteien dazu geäußert - mit gegensätzlicher Stoßrichtung. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) blieb seiner Rolle treu, indem er etwaige Hoffnungen auf Lockerungen bremste. Er sei sehr skeptisch, schon ab 10. Januar wieder Öffnungen in Aussicht zu stellen, sagte er der dpa. Friedrich Merz, der sich um den CDU-Vorsitz bewirbt, forderte dagegen, die Schulen "so schnell wie möglich" wieder zu öffnen. Gegenüber der Funke-Mediengruppe sprach er von einem "massive Schaden in der Bildung unserer Kinder durch die geschlossenen Schulen".

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Merz stellte sich damit explizit hinter einen Vorstoß von Baden-Württembergs Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU). Sie wirbt dafür, Kitas und Grundschulen von 11. Januar an wieder zu öffnen, und zwar "unabhängig von den Inzidenzzahlen". Damit hat sich Eisenmann zum Teil heftige Kritik eingehandelt. Die SPD-Parteivorsitzende Saskia Esken teilte mit, sie könne diese Forderung nicht ernst nehmen. Aus Reihen der Jusos wurde gar Eisenmanns Rücktritt gefordert.

Auch daran ist zu erkennen, wie schnell sich das scheinbar Normale und allgemein Akzeptierte in der Krise verschieben kann. Noch vor zwei Monaten, als Bund und Länder die November-Einschränkungen beschlossen, herrschte parteiübergreifend Konsens, dass die Schulen nach den schlechten Erfahrungen mit den Schließungen im Frühjahr diesmal offen bleiben sollten. Inzwischen ist die Empörung groß, wenn eine Bildungspolitikerin wie Eisenmann darauf hinweist, dass "Präsenzunterricht durch nichts zu ersetzen" sei, und dass die Bildung eine andere Priorität haben müsse als andere Lebensbereiche.

Das Seuchenjahr 2020 hat aber nicht nur die digitale Rückständigkeit der Schulen offenbart, sondern auch die gesellschaftliche Bedeutung dieser Institution weit über die Vermittlung von Unterrichtsstoff hinaus. Sie sind eben auch Begegnungsstätten, die eine Tagesstruktur vorgeben, und für Tausende sozial benachteiligte Kinder sind Schulen nicht zuletzt auch ein Ort, an dem es einmal am Tag eine vernünftige Mahlzeit gibt. Mit jeder Woche, in der sie geschlossen sind, öffnet sich die soziale Schere weiter. Auch Schulpsychologen warnen vor einer weiteren Schließung von Schulen.

Bereits am Montag wollen sich die Kultusminister in der Schulstart-Frage verständigen. Im Grunde gibt es den breiten Wunsch, möglichst schnell wieder Präsenzunterricht für alle zu ermöglichen. Klar ist aber auch: Über die Grenzen des Möglichen entscheiden die Kanzlerin und die Länderchefs am Dienstag. Wohl in einer Art vorauseilendem Gehorsam haben deshalb die Bildungsressorts in Berlin und Hamburg bereits die Verlängerung des Fernunterrichts bis bis zum 17. Januar angekündigt. Und vielleicht ist es kein Zufall, dass Eisenmann in die andere Richtung vorprescht. Sie führt als Spitzenkandidatin der CDU gegen ihren Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne) schließlich einen Wahlkampf. In Baden-Württemberg finden im März Landtagswahlen statt.

Eine Lösung des Schulstreits ist wohl erst dann in Sicht, wenn die Lehrkräfte durchgeimpft sind. Das kann aber dauern, denn sie sind erst in der dritten Runde dran. Schon in der ersten Phase stottert es aber gewaltig, weil nicht genügend Impfstoff da ist. Biontech-Chef Uğur Şahin geht laut Spiegel davon aus, dass erst Ende Januar Klarheit herrschen wird, "ob und wie viel wir mehr produzieren können." Damit wird es noch länger dauern, bis in den Schulen wieder so etwas wie Normalität herrscht.

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