Lockdown-Pläne:Die Grenzen der Freiheit

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Straßenkriminalität? Nicht während der Pandemie, zumal die Polizei wie hier in Burghausen auch noch die Ausgangssperre kontrollierte. (Foto: Imago)

Während Heiko Maas schon mal Lockerungen für Geimpfte fordert und damit den Regierungspartner CDU irritiert, wächst in Deutschland die Angst vor mutierten Corona-Viren. Mehrere Bundesländer wollen Quarantäne-Verweigerer zwangsweise isolieren.

Von Daniel Brössler und Kristiana Ludwig, Berlin

Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) hat sich dafür ausgesprochen, Corona-Einschränkungen für Geimpfte zu lockern und damit Meinungsverschiedenheiten in der Bundesregierung erkennen lassen. "Geimpfte sollten wieder ihre Grundrechte ausüben dürfen", sagte Maas der Bild am Sonntag. Zwar sei noch nicht abschließend geklärt, inwiefern Geimpfte andere infizieren könnten. Klar sei aber: "Ein Geimpfter nimmt niemandem mehr ein Beatmungsgerät weg. Damit fällt mindestens ein zentraler Grund für die Einschränkung der Grundrechte weg." Als erstes Mitglied der Bundesregierung rückt der frühere Justizminister damit von der Linie von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) ab, der vor einer drohenden Spaltung der Gesellschaft gewarnt hatte.

Ungleichheiten seien verfassungsrechtlich vertretbar, wenn es dafür einen sachlichen Grund gebe, betonte Maas. Er verwies überdies auf die Interessen von Betreibern, deren Restaurants, Kinos, Theater oder Museen aus Infektionsschutzgründen geschlossen sind. "Die haben ein Recht darauf, ihre Betriebe irgendwann wieder zu öffnen, wenn es dafür eine Möglichkeit gibt", sagte er.

Vorsichtige Unterstützung erhielt Maas von FDP-Chef Christian Lindner. Allerdings müsse wissenschaftlich erhärtet sein, dass Menschen nach einer Impfung kein Risiko mehr darstellen. "Wenn jemand nachweisbar nicht mehr gefährlich ist, dann kann man ihm die Ausübung der Grundrechte auch nicht mehr verwehren", sagte er am Sonntag bei einem digitalen Kongress der Jungen Liberalen. "Alles andere würde unsere Verfassung ins Gegenteil verkehren", so Lindner. Dies erfordere aber auch eine Beschleunigung des Impfens. Es berge "sozialen Sprengstoff", wenn die einen die anderen dabei beobachten müssten, "wie sie schon ihre Freiheit leben".

In der Bundesregierung zeigte man sich dagegen verwundert von Maas' Forderung. "Eingriffe in Freiheitsrechte müssen immer gut begründet sein. Aber solange nicht klar ist, ob ein Geimpfter das Virus übertragen kann, kann es keine Ausnahmen geben", sagte ein Sprecher des Gesundheitsministeriums. Das Justizministerium verwies auf eine Äußerung von Ministerin Christine Lambrecht vor wenigen Tagen. Die SPD-Politikerin hatte in einem Interview gesagt, dass es sich verbiete, Geimpfte anders zu behandeln als Nicht-Geimpfte, schon weil es keine wissenschaftlichen Belege gebe, ob die Impfung vor der Weitergabe des Virus schütze.

Lindner fordert Sondersitzung des Bundestags vor Krisengipfel

Auch Innenminister Horst Seehofer (CSU) hatte Sonderrechte strikt abgelehnt und vor einer Spaltung der Gesellschaft gewarnt. Als Argument gegen Sonderrechte wird auch angeführt, dass die meisten Menschen sich noch gar nicht impfen lassen können. Irritiert zeigte man sich in der Bundesregierung auch deshalb, weil das Auswärtige Amt gerade erst bei der neuen Einreise-Verordnung zugestimmt habe, dass es keine Sonderrechte für Geimpfte geben solle.

Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts (RKI) wurden bis zum Wochenende gut eine Million Menschen in Deutschland geimpft. Das entspricht 1,26 Prozent der Bevölkerung. Geimpft werden zunächst Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeheimen, über 80-Jährige und Beschäftigte aus dem medizinischen Bereich.

Vor den für diesen Dienstag geplanten Beratungen von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit den Regierungschefs der Länder über mögliche Verschärfungen im Kampf gegen die Pandemie fordert Lindner überdies eine Sondersitzung des Bundestages. Geplant seien offenbar "massive Grundrechtseinschränkungen", von denen man nur aus den Medien erfahre, kritisierte Linder. "Wir glauben, das muss das Parlament vor den Beschlüssen besprechen", sagte er.

Angesichts der angespannten Lage hatten Merkel und die Regierungschefs der Länder ihre ursprünglich für den 25. Januar geplanten Beratungen um knapp eine Woche vorgezogen. Diskutiert wird über eine weitere Einengung des teilweise bestehenden 15-Kilometer-Ausgangsradius, eine Pflicht zum Tragen besser schützender FFP2-Masken sowie Möglichkeiten, die Betriebe zu mehr Home-Office-Angeboten zu bewegen.

Armin Laschet schaut besorgt nach Großbritannien

Die deutschen Gesundheitsämter meldeten dem RKI zum Sonntag 13 882 Neuinfektionen und 445 Todesfälle binnen eines Tages. Am Samstag waren es 18 678 und 980 neue Todesfälle gewesen. Die Daten waren wegen der geringeren Zahl von Tests und Meldungen über die Weihnachtsfeiertage lange nicht belastbar gewesen, Merkel hatte aber den 17. Januar immer als Termin genannt, ab dem wieder Klarheit herrschen könnte. Der neue CDU-Chef und nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet sagte, er gehe davon aus, "dass wir noch einmal zu Verschärfungen kommen". Man müsse erörtern: "Wo können wir welche Wirkung erzielen?"

Laschet wies auf die wohl besonders ansteckende Virus-Variante aus Großbritannien hin: Über diese wisse man zu wenig. Auch Unions-Fraktionschef Ralph Brinkhaus drängte darauf, bestehende Schutzmaßnahmen zu erweitern: "Die Ministerpräsidentenkonferenz muss Verschärfungen beschließen, damit wir die Zahlen endlich herunterbekommen. Wir können uns nicht leisten, dass sich die Pandemie bis in den Sommer hineinzieht", sagte er der Rheinischen Post: "Wir sehen, was in Irland durch die mutierten Viren ausgelöst wurde. Das muss uns Sorgen bereiten." Man müsse wieder "vor die Welle kommen".

Der Deutsche Städte- und Gemeindebund warnte allerdings vor überzogenen Maßnahmen. Zwar sei eine Verlängerung des Lockdowns notwendig, sagte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg. Ein extremer Lockdown sei allerdings "keine Lösung und könnte die unverzichtbare Akzeptanz der Menschen für die zahlreichen Maßnahmen gefährden". Da die aktuelle Situation nun schon mehrere Wochen anhalte, "sollte man sich nicht für eine generelle Schließung von Schulen und Kitas entscheiden, sondern zumindest eine Notbetreuung sicherstellen".

Hamburger Kinderhilfsprojekt warnt vor fatalen Folgen

Gerade bei sozial benachteiligten Kindern könne der Lockdown laut dem Hamburger Kinderhilfsprojekt Arche tiefe Spuren hinterlassen. "Die Folgen des Lockdowns sind fatal", sagte dessen Leiter Tobias Lucht. Schon beim ersten Lockdown im Frühjahr seien durch die Schulschließungen die Defizite bei vielen Kindern so groß gewesen, dass sie kaum mehr aufgeholt werden konnten. "Wir hören bereits von Lehrern, die manche Kinder aufgegeben haben." So würden etliche Viertklässler im Sommer auf die weiterführende Schule wechseln, ohne richtig lesen und schreiben zu können.

Viele Eltern in Brennpunkt-Stadtteilen könnten ihren Kindern beim Homeschooling nicht helfen, weil sie zum Beispiel selbst Sprachschwierigkeiten haben. Auch die räumlichen Verhältnisse seien dort schwierig, sagte Lucht: "Viele Familien, die wir betreuen, leben mit fünf oder sechs Kindern in einer Drei-Zimmer-Wohnung." Dort gebe es nicht für jedes Kind einen Raum zum Lernen oder ein digitales Endgerät. "Kinder brauchen die physische Anwesenheit eines Erwachsenen, der sie ermutigt und dem sie auch Fragen stellen können."

Laut einem Bericht der Welt am Sonntag wollen unterdessen mehrere Bundesländer härter gegen Quarantäne-Verweigerer vorgehen. Neben hohen Bußgeldern komme es künftig im Extremfall zur Zwangseinweisung an zentralen Stellen, berichtete die Zeitung und verwies auf eigene Recherchen. Demnach wären Menschen betroffen, die die amtliche Anordnung missachten, sich wegen einer möglichen oder tatsächlichen Corona-Infektion für bestimmte Zeit zu isolieren.

Quarantäne-Verweigerer könnten unter Aufsicht isoliert werden

Mit einem Richterbeschluss können sie bei wiederholtem Verstoß oder Weigerung für bestimmte Zeit unter Aufsicht untergebracht werden. In Schleswig-Holstein sei demnach eine Unterbringung auf dem Gelände der Jugendarrestanstalt Moltsfelde geplant. Dort entstehe eine vom Kreis Rendsburg-Eckernförde betriebene Einrichtung, hieß es unter Berufung auf den Landkreistag. Bereits bekannt war, dass Sachsen zeitnah eine Einrichtung für Quarantäne-Verweigerer in Betrieb nehmen will. Die sächsische Gesundheitsministerin Petra Köpping (SPD) hatte allerdings schon im Frühjahr vergangenen Jahres klargestellt, dass eine solche Zwangsmaßnahme nur ein allerletztes Mittel sei.

In Baden-Württemberg werden für uneinsichtige Quarantäne-Verweigerer derzeit Plätze in zwei Kliniken geschaffen. Diese würden dauerhaft durch einen Wachdienst kontrolliert, sagte ein Sprecher des Gesundheitsministeriums in Stuttgart am Sonntag: "Die zwangsweise Unterbringung ist kein neues Instrument, sie konnte auch bisher schon angeordnet werden und wurde in Einzelfällen auch bisher schon angeordnet." Es handle sich dabei nicht um eine Strafmaßnahme, sondern um eine Maßnahme des Infektionsschutzes.

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