Linke:Alle gegen Sahra

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Mit ihren Aussagen zu Flüchtlingen empört die linke Fraktionschefin viele Parteifreunde. Sie richten einen Appell an sie: "Sahra, es reicht!"

Von Constanze von Bullion, Berlin

Die Fraktion geht auf Abstand, an der Parteispitze herrscht kalte Wut, und auch an der Basis mögen viele den Mund inzwischen nicht mehr halten. "Sahra, es reicht!" ist der Aufruf überschrieben, mit dem der Linken-Politiker und Ex-Hausbesetzer Freke Over seit Dienstag Unterschriften gegen Sahra Wagenknecht sammelt. Knapp 50 Unterstützer der Linken haben den Appell unterzeichnet, verraucht sein dürfte der Zorn auf die Fraktionschefin damit noch längst nicht. "Die Äußerungen von dir sind ein Schlag ins Gesicht von uns allen", heißt es in dem Aufruf. "Wir sind es leid, dass unsere Grundüberzeugungen, unsere Beschlüsse, unsere Identität, unser Profil als antirassistische, solidarische Partei einem kurzfristigen unwürdigen populistischen, vermeintlichen Erfolg geopfert werden". Die Linke dürfe keine Ressentiments schüren, "indem ein Zusammenhang zwischen Terror und Flüchtlingspolitik konstruiert wird".

Was klingt wie ein Aufschrei ist nur eine von vielen Protestnoten, die Linken-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht in dieser Woche erreicht haben. Grund ist eine Presseerklärung, in der Wagenknecht den Flüchtlingskurs der Bundeskanzlerin für die aktuelle Gewalt- und Terrorserie verantwortlich gemacht hat. Die Ereignisse der vergangenen Tage zeigten, dass "die Aufnahme und Integration einer großen Zahl von Flüchtlingen und Zuwanderern mit erheblichen Problemen verbunden und schwieriger ist, als Merkels leichtfertiges 'Wir schaffen das' uns im letzten Herbst einreden wollte", erklärte Wagenknecht. Der Staat müsse "alles dafür tun, dass sich die Menschen in unserem Land wieder sicher fühlen können."

Vom Flüchtling zum Terror zur mangelnden Sicherheit im Staate - das klinge doch wie bei der AfD, befanden wütende Parteifreunde. Angesichts des Protests aus den eigenen Reihen ruderte Wagenknecht bald zurück. Es habe da wohl Missverständnisse gegeben. An einen Ausrutscher aber mag kaum noch jemand glauben, weder innerhalb noch außerhalb der Linken. Immer wieder hat Wagenknecht den Eindruck erweckt, Flüchtlinge könnten zur Bedrohung werden oder zu Konkurrenten für Benachteiligte im Land, ob bei der Wohnungssuche oder auf dem Arbeitsmarkt.

Mal warnte die Anführerin des linken Parteiflügels ähnlich wie Ex-Parteichef Oskar Lafontaine davor, dass nicht "alle Verarmten und Verelendeten der Welt" nach Deutschland kommen könnten. Nach der Silvesternacht in Köln warnte sie: "Wer Gastrecht missbraucht, der hat Gastrecht dann eben verwirkt." Regelmäßig gab es deshalb Ärger, schließlich werden im Parteiprogramm der Linken noch "offene Grenzen für alle" gefordert. Regelmäßig gelobte Wagenknecht dann Besserung. Bis zum nächsten Mal.

"Sahra, es reicht!" lautet der Appell an Fraktionschefin Wagenknecht. (Foto: Wolfgang Kumm/dpa)

Nach dem jüngsten Manöver forderte der Bundestagsabgeordnete Jan von Aken Wagenknechts Rücktritt. "Wer Merkel von rechts kritisiert, kann nicht Vorsitzende einer linken Fraktion sein", kritisierte er. Bundesgeschäftsführer Matthias Höhn wies darauf hin, dass die unterschiedlichen Hintergründe der Gewalttaten der letzten Tage eine differenzierte Betrachtung nötig machten. Parteichef Bernd Riexinger sagte der taz, Wagenknechts Äußerungen seien "natürlich nicht akzeptabel". Und auch Co-Fraktionschef Dietmar Bartsch, der mit Wagenknecht einen Burgfrieden geschlossen hat und offenen Streit strikt vermeiden will, ließ wissen, er teile die Ansicht ihrer Presseerklärung nicht.

Zu den originelleren Anstößen gehörte ein Blogbeitrag des Thüringer Kulturministers Benjamin-Immanuel Hoff mit Alexander Fischer, dem ehemaligen Sprecher der rot-rot-grünen Landesregierung Thüringen, im Freitag. Die Linke könne "mit dem Rechtsblinken nichts gewinnen", schreiben sie. "Entweder sie biegt ab, dann hört sie auf, links zu sein. Oder sie blinkt nur, dann ist das Blinken nicht mehr als ein Hinweisgeber auf das rechte Original."

Hoff und Fischer stellen eine Entfremdung fest zwischen den Parteieliten der Linken, die sich liberalem Denken, der Globalisierung und der europäischen Idee zugewandt hätten, während weniger gebildete Unterschichten und Wähler sich oft dem Nationalstaat und traditionellen Werten verpflichtet fühlten. Wolle die Linke diese angestammte Wählerbasis nicht an Rechtspopulisten verlieren, müsse sie Begriffe wie Heimat und Sicherheit selbst besetzen, und zwar positiv und weltoffen - nicht national wie Wagenknecht. "Heimat ohne Deutschtümelei zu denken - darin haben uns möglicherweise Menschen mit Migrationshintergrund etwas voraus", heißt es. Und dass die Debatte erst begonnen habe.

© SZ vom 28.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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