Libyen:Gaddafis langer Schatten

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So schön kann Unterricht sein: Zum ersten Mal seit August 2014 konnten diese Kinder am Sonntag wieder ihre Schule in Bengasi besuchen. (Foto: Abdullah Doma/AFP)

Eineinhalb Jahre lang haben sich die Vereinten Nationen erfolglos um eine Friedenslösung für das zerrissene Libyen bemüht - ein Abkommen ist nun in Sicht.

Von Paul-Anton Krüger und Oliver Meiler, Rom/Kairo

Am Ende der Libyen-Konferenz in Rom stehen gute Nachrichten. Aber in den Optimismus mischt sich große Vorsicht. Die rivalisierenden Fraktionen seien bereit, einen Plan zu unterschreiben, der eine Übergangsphase und eine Einheitsregierung vorsieht, sagt US-Außenminister John Kerry nach dem Treffen am Sonntag, an dem Außenminister aus 17 Staaten und Emissäre aller maßgeblichen internationalen Organisationen teilgenommen haben.

Zunächst seien alle Beteiligten zum Waffenstillstand aufgerufen, sagt Kerry. Dann solle der Fokus auf den Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) gelegt werden, die sich in dem nordafrikanischen Land breitmacht. Doch das Vorhaben eine möglichst solide Basis für eine überlebensfähige Regierung zu vereinbaren steht unter einem Vorbehalt.

In Rom seien "zwei Drittel der libyschen Machtpositionen" vertreten gewesen, sagt Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier - was heißt: Ein Drittel fehlte.

Die in Rom anwesenden libyschen Gruppen seien entschlossen, das Abkommen nicht von "Einzelnen" blockieren zu lassen, sagt Kerry, aber auch, dass er sich "keine Illusionen" mache, dass auch nach eineinhalb Jahren der Vermittlungsversuchen der UN noch viele Probleme bevor stehen. Immerhin waren Vertreter beider rivalisierender Regierungen nach Rom gekommen.

Das Parlament in Tobruk und die Regierung in Beyda nahe der Grenze zu Ägypten sind international anerkannt; das von islamistischen Milizen dominierte Morgenröte-Bündnis kontrolliert Tripolis und große Gebiete im Westen und an der Küste des Landes, in dem bis Februar 2011 Diktator Muammar al-Gaddafi herrschte.

Delegierte der verfeindeten Regierungen und Parlamente hatten nach monatelangen Gesprächen am Freitag in Tunis eingewilligt, am 16. Dezember eine von den UN ausgearbeitete Vereinbarung zu unterzeichnen, laut der eine Einheitsregierung gebildet werden soll. Der UN-Gesandte Martin Kobler antwortete auf die Frage, wer in Marokko das Abkommen unterzeichne, die Liste sei lang, es brauche die kritische Masse. Es sei aber doch nur ein Abkommen für das erste Jahr des Übergangs.

Die Parlamente haben noch nicht über den Plan abgestimmt; sie hatten in der Vorwoche eine Vereinbarung ausgehandelt, die maßgeblich das Ziel hatte, die UN außen vor zu lassen. Ob sich die Versionen in Übereinstimmung bringen lassen oder die Parlamente den UN-Plan akzeptieren, ist offen.

Die Regierungen wollen den Vertrag nächste Woche unterschreiben

Getrieben werden die internationalen Bemühungen von der Sorge, dass sich die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) in Libyen ein neues Rückzugsgebiet schafft, das den Dschihadisten als Ausgangspunkt zur Expansion in ganz Nordafrika dienen könnte - und zur Vorbereitung von Anschlägen nicht nur im benachbarten Tunesien, sondern auch in Europa. Die Attacken von Paris haben jede Diskussion beendet, wie realistisch ein solches Risiko ist; der Islamische Staat hat in mehreren Videos mit Anschlägen jenseits des Mittelmeers gedroht.

Dschihadisten, die nach Einschätzung westlicher Geheimdienste unter direktem Kommando der IS-Zentrale im syrischen Raqqa stehen, kontrollieren inzwischen nicht mehr nur Derna und ihre Hochburg Sirte, die Heimatstadt des gestürzten und getöteten Diktators Muammar al-Gaddafi, sondern auch einen 250 Kilometer breiten Küstenstreifen östlich, der bis nach Nufaliya reicht. Sie versuchen derzeit, Adschdabiya zu erobern, eine Stadt mit 80 000 Einwohnern, die noch weiter östlich Richtung Bengasi liegt in dem von der Regierung in Beyda kontrollierten Gebiet.

In Libyen sollen sich inzwischen 2000 bis 3000 IS-Kämpfer aufhalten; Geheimdienste halten es sogar für möglich, dass die IS-Führung in Syrien und im Irak versuchen könnte, sich dorthin zurückziehen, wenn sie militärisch unter großen Druck gerät. Ehemalige libysche Gefangene des IS aus Sirte berichten, sie seien fast ausschließlich von Ausländern bewacht worden. Chef der zivilen Verwaltung sei ein Saudi, die Militärkommandeure Iraker.

Der inzwischen ausgeschiedene UN-Vermittler Bernardino León hatte bereits im Oktober einen Kompromiss vorgelegt, der eine Einheitsregierung samt Personalvorschlägen beinhaltete. Die verfeindeten Parlamente lehnten ihn jedoch ab. Léon sah sich Vorwürfen ausgesetzt, er habe die nötige Neutralität aufgegeben und sich in einen Interessenkonflikt verwickelt.

Die mit der Regierung in Tobruk verbündeten Vereinigten Arabischen Emirate hatten ihn zum Chef ihrer Diplomaten-Akademie berufen; Léon hat inzwischen angekündigt, noch einmal zu überlegen, ob er den gut dotierten Posten in Abu Dhabi annimmt. Italiens Regierung hat das Libyen-Dossier an sich gezogen - die USA gestehen ihr diese Rolle zu. Als einstige Kolonialmacht fühlt sich Italien dazu prädestiniert.

Premier Matteo Renzi hält sich im Kampf gegen den IS militärisch auch deshalb zurück, um die Rolle nicht zu schädigen. Außenminister Paolo Gentiloni, der zusammen mit Kerry das Teffen leitete, sagte: "Wir wollen zeigen, dass die Diplomatie schneller ist als der Terrorismus." Und schneller als das militärische Drängen anderer Mächte: So hieß es jüngst sowohl aus Paris als auch aus London, die Bombardements in Syrien und im Irak reichten wohl nicht aus, es müssten bald auch Angriffe gegen Stellungen des IS in Libyen folgen; Frankreich flog bereits Aufklärungsmissionen über dem Land.

© SZ vom 14.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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