Libyen:Das Milizenkartell von Tripolis

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Dutzende Menschen sterben, Hunderte Häftlinge fliehen aus dem Gefängnis: Die geplanten Wahlen sind angesichts neuer Konflikte gefährdet.

Von Paul-Anton Krüger, München

Schwere Gefechte zwischen rivalisierenden Milizen erschüttern seit mehr als einer Woche die libysche Hauptstadt Tripolis. Die UN-Mission in Libyen hatte nach eigenen Angaben "alle Beteiligten" am Dienstag zu Gesprächen eingeladen, um ein Ende der Kämpfe auszuhandeln. Nach Angaben von Bewohnern kam es allerdings am Nachmittag zu neuen Schießereien. Insgesamt sind in den vergangenen Tagen mindestens 50 Menschen getötet und 240 verletzt worden. Mehr als 1800 Familien flohen vor den Auseinandersetzungen in andere Viertel oder Ortschaften im Umland von Tripolis. Aus einem Gefängnis brachen 400 Häftlinge aus.

Die Krise in Tripolis macht erneut deutlich, wie gering der Einfluss der international anerkannten Einheitsregierung unter Präsident Fayez al-Serraj ist. Die an den Gefechten beteiligten Milizen haben sich offiziell der Kontrolle seiner Regierung unterstellt. Serraj ließ am Sonntag den Ausnahmezustand über Tripolis ausrufen, ist aber nicht in der Lage, wieder Ruhe in der Hauptstadt herzustellen.

Infrage steht nun die Vereinbarung zwischen Serraj und dem starken Mann im Osten Libyens, General Khalifa Haftar, im Dezember landesweit Wahlen abzuhalten, die dazu beitragen sollen, die politische Spaltung des Landes zu überwinden. Diese Zusage hatte ihnen Frankreichs Präsident Emmanuel Macron Ende Mai bei einem Treffen in Paris abgerungen. Die Kämpfe könnten auch Vereinbarungen der italienischen Regierung mit libyschen Kräften gefährden, die einen starken Rückgang der Migration über das Mittelmeer zur Folge hatten.

In Italien wiesen Politiker Frankreich an der Krise eine Mitverantwortung zu

Die Kämpfe begannen mit einem Angriff der sogenannten Siebten Brigade aus Tarhuna, einer Stadt 65 Kilometer südöstlich von Tripolis. Die von drei Brüdern kontrollierte Miliz attackierte Vororte der Hauptstadt und versuchte, den internationalen Flughafen Mitiga unter ihre Kontrolle zu bringen. Sie werden von Kämpfern mächtiger Milizen aus Zintan und Misrata unterstützt und geben vor, Tripolis von "korrupten Milizen" befreien zu wollen.

Tatsächlich dürfte es bei den Kämpfen vor allem um Zugang zu wirtschaftlichen Ressourcen und politischer Macht in dem von Staatszerfall geprägten Land gehen. Die Hauptstadt wurde bislang von vier Milizen kontrolliert, die ihre Stellung nutzten, um Einfluss auf die Einheitsregierung von Serraj auszuüben. Mit betrügerischen Devisengeschäften machen sie Geld auf Kosten der Staatskasse, zudem nehmen sie Schutzgelder ein, etwa von Banken.

Experten warnen seit Monaten vor diesem Konflikt und einem Angriff auf Tripolis. So schrieb Wolfram Lacher von der Stiftung Wissenschaft und Politik im Mai, das "Milizenkartell in Tripolis" habe sich die Einheitsregierung Untertan gemacht und bilde "kriminelle Netzwerke, die in Politik, Wirtschaft und Verwaltung operieren". Milizen, die von diesen Arrangements ausgeschlossen seien, planten mit Gewalt die Kräfteverhältnisse in Tripolis zu ändern. Genau dies ist nun offenbar eingetreten.

In Italien, der früheren Kolonialmacht, wiesen Regierungspolitiker Frankreich eine Mitverantwortung an der Krise zu. Sie insinuieren, Paris wolle einen Vorwand schaffen, den von Frankreich, aber auch den Vereinigten Arabischen Emiraten und Ägypten unterstützten General Haftar an die Macht zu bringen und die Konkurrenz der Konzerne Eni und Total um Libyens Ölreserven im Sinne Frankreichs zu entscheiden.

© SZ vom 05.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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