Libyen:Banger Blick nach Süden

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In Libyen greift das Chaos um sich, der "Islamische Staat" gewinnt an Einfluss. Doch eine Lösung ist fern. Einige westliche Staaten erwägen zwar eine Intervention, doch Bodentruppen sind tabu.

Von Paul-Anton Krüger

Die Münchner Sicherheitskonferenz stand im Zeichen des Bürgerkriegs in Syrien. Da ging es fast schon unter, dass ein weiterer arabischer Krisenherd die Außenminister beschäftigte, unter ihnen John Kerry und Frank-Walter Steinmeier: Libyen. An der Südküste des Mittelmeers, kaum 350 Kilometer von Italien entfernt, ringen zwei konkurrierende Parlamente in Tobruk und Tripolis um eine Einheitsregierung. "Es kann uns nicht egal sein, wenn inmitten von Chaos und Bürgerkrieg skrupellose Schlepperbanden ungestört ihrem kriminellen Geschäft nachgehen", warnte Steinmeier denn auch. "Und es kann uns erst recht nicht egal sein, wenn am Rande Europas die Terrormilizen des Islamischen Staates fest Fuß fassen."

Das zu verhindern, wird die wichtigste Aufgabe für eine neue Regierung sein, die wieder in Tripolis sitzen soll. Ein Liste mit den künftigen Ministern sollte bis Sonntag um Mitternacht vorliegen. Ein erster Anlauf war gescheitert. Der UN-Sondergesandte für Libyen, der deutsche Diplomat Martin Kobler, zeigte sich dennoch vorsichtig optimistisch, dass es diesmal klappen könnte. Das international anerkannte Parlament in Tobruk habe zwar die erste Kabinettsliste abgelehnt, aber es habe ein von den UN vermitteltes Abkommen anerkannt, das einen Fahrplan zur Stabilisierung Libyens vorgibt.

Drei Faktoren hätten den politischen Druck für eine Einigung gesteigert, sagte Kobler der Süddeutschen Zeitung: "Das Erste ist, dass sich der sogenannte Islamische Staat ausdehnt - nach Osten, nach Süden, nach Westen - und Terroranschläge verübt. Vor allem die Ausdehnung nach Süden bereitet große Sorgen vor allem für die südlichen Anrainer, Niger und Tschad. Dort darf es keinen Schulterschluss mit den Terrororganisationen in diesen Ländern geben." Der IS hat mindestens 2000 bis 3000 Kämpfer in Libyen, 80 Prozent von ihnen Ausländer, darunter viele Tunesier. US-Geheimdienste schätzen die Stärke des IS sogar auf 6500 Mann.

Millionen Libyer brauchen humanitäre Hilfe, das Land steht vor dem Bankrott

Der zweite Faktor ist laut Kobler die katastrophale humanitäre Lage: 2,4 Millionen Menschen in Libyen sind abhängig von Hilfe, 1,3 Millionen Menschen sogar von Nahrungsmittelhilfe - bei einer Bevölkerung von einst sechs Millionen. Und drittens taumelt das Land auf die Pleite und den wirtschaftlichen Zusammenbruch zu. Die Bestände der Zentralbank seien von 280 Milliarden Dollar im Jahr 2011 auf 50 Milliarden geschrumpft, sagt Kobler, die Ölproduktion von 1,6 Millionen Barrel auf 350 000 Barrel am Tag eingebrochen - und das bei stark sinkenden Ölpreisen. "Da kann man sich vorstellen, wann das Geld zu Ende geht." Geld, von dem viele Menschen in Libyen als Staatsbedienstete leben und auch die Milizen bezahlt werden.

Amerika und Großbritannien, das vom Terror in Paris getroffene Frankreich und Italien erwägen, militärisch gegen den IS in Libyen vorzugehen, um ein Szenario wie im Irak zu verhindern, wo der IS 2014 große Landstriche mit ein paar Tausend Kämpfern eroberte. Spezialeinheiten sind bereits im Land, um Aufklärung zu betreiben. Die westlichen Staaten wollen möglichst erst auf Bitten einer Einheitsregierung losschlagen. Das alleine aber, sagt Kobler, könne das Problem nicht lösen. "Was man am Ende braucht, sind libysche Bodentruppen, nicht nur Luftschläge." Es gebe aber "keine große Bereitschaft, von niemandem, internationale Bodentruppen zu entsenden".

Eine neue Armee aufzustellen, das könne nur eine Einheitsregierung. Die starken Milizen, die es in Libyen gibt, sollen möglichst nicht für den Kampf gegen den IS herangezogen werden. Damit würde ihre Rolle nur gestärkt, und die Macht dieser zumeist lokal organisierten bewaffneten Gruppen ist heute schon eines der großen Probleme und Friedenshindernisse. Sie sind hervorgegangen aus Rebellengruppen, die unterstützt von einer Militärintervention Frankreichs, der USA und anderer westlicher Staaten den langjährigen Diktator Muammar al-Gaddafi im Jahr 2011 gestürzt haben - und seither das Land kontrollieren.

Allerdings hat die katastrophale Lage in Libyen auch bis zum Wochenende nicht dazu geführt, dass das international anerkannte Parlament in Tobruk und das von Islamisten dominierte Gegenparlament in Tripolis ihre Streitereien beigelegt hätten. Das sei bislang an Partikularinteressen gescheitert, sagt Kobler, daran dass "auch politische Entscheidungsträger persönliche Interessen - Machtinteressen, finanzielle Interessen - durchsetzen wollen" und diese oft über das nationale Interesse stellten.

Das wirft für die Außenminister und auch Kobler allerdings die Frage auf, ob der Wettlauf mit der Zeit noch zu gewinnen ist. "Ich befürchte, dass die schneckenhafte politische Entwicklung langsamer ist als die militärische", warnt der UN-Sondergesandte. "Die libyschen Politiker streiten über die Interpretation des Friedensabkommens - mit so etwas hält sich der IS nicht auf." Er gewinne jeden Tag Territorium. Über einen Plan B wollte in München trotzdem noch niemand reden. Man werde in den nächsten Tage sehen, ob sich die Libyer noch einigen könnten hieß es - ob sie einsehen, dass alle mehr verlieren, wenn sie jetzt nicht nachgeben.

© SZ vom 15.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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