Liberaldemokraten in Großbritannien:Hoffen auf die Macht der Mitte

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Viele Tories warteten nur auf den richtigen Moment um zur Ukip zu wechseln, unkt deren Parteichef Nigel Farage. (Foto: Phil Noble/Reuters)

Die europafeindliche Ukip polarisiert die britische Parteienlandschaft - besonders die Konservativen stehen unter Druck. Die schwächelnden Liberaldemokraten sehen darin ihre Chance. Wer regieren will, kommt an ihnen nicht vorbei.

Von Christian Zaschke, London

Labour Chef-Ed Miliband dürfte sehr froh darüber sein, dass die britische Parteitagssaison zu Ende ist. Labour hatte die Saison im September eröffnet, und Miliband hatte seine Parteifreunde und die politischen Gegner mit einer fulminanten, frei gehaltenen Rede beeindrucken wollen. Im Eifer des Gefechts waren ihm jedoch einige nicht unwesentliche Details entfallen: Er erwähnte das Haushaltsdefizit und das Thema Einwanderung mit keinem Wort.

In der Folge kam so gut wie kein Redner bei den Parteitagen der Konservativen, der UK Independence Party (Ukip) und der Liberaldemokraten (Libdems) ohne ein paar spöttische Bemerkungen über Milibands Vergesslichkeit aus. An diesem Mittwoch war es Nick Clegg, Vize-Premier und Chef der Libdems, der zum Abschluss der Saison ein paar Miliband-Witze in seine programmatische Rede streute. "Wenn Ed Miliband mich angerufen hätte, um zu fragen, wie er mir den größten Gefallen tun könnte", rief Clegg den Delegierten in Glasgow zu, "dann hätte ich gesagt: Vergessen Sie doch einfach, über das Defizit zu sprechen. Und siehe da: Er hat´s gemacht."

Clegg war in guter Form, es gelang ihm, der Parteibasis Hoffnung zu machen. Das war auch deshalb wichtig, weil einige Wettanbieter vor der Rede gar nicht mal schlechte Quoten dafür angeboten hatten, dass Clegg seinen Rücktritt als Parteichef verkünden würde. Clegg ist nicht unumstritten, viele Delegierte lasten ihm persönlich an, dass die Partei in jüngsten Umfragen drastisch verloren hat. Er sprach offen darüber, dass er Fehler gemacht habe in den viereinhalb Jahren, in denen die Liberaldemokraten mit den Konservativen regieren, und dass die Partei als Folge der Koalition nicht mehr "unbefleckt" sei. Er attackierte sowohl den Koalitionspartner wie auch die Opposition ausgiebig und versprach den Zuhörern, dass die Libdems immer die Partei der Mitte sein würden, nachdem Labour nach links gerückt sei und die Tories nach rechts.

Seine schärfsten Attacken hatte Clegg für die europafeindliche Ukip reserviert, der er vorwarf, eine "Wir-gegen-die-Kultur" in die britische Politik einzuführen. Die Ukip war bislang bei Kommunal- und Europawahlen erfolgreich, stellt aber keinen Abgeordneten im Parlament in Westminster. Das könnte sich an diesem Donnerstag ändern. Im Wahlkreis Clacton im Südosten Englands steht eine Nachwahl an. Diese war nötig geworden, weil der vormals konservative Abgeordnete Douglas Carswell sein Mandat niedergelegt hatte, um die Partei zu wechseln. Carswell tritt nun für die Ukip an. Es gilt als wahrscheinlich, dass er den Wahlkreis erneut gewinnt. Für die Partei wäre es von enormer symbolischer Bedeutung, einen der ihren nach Westminster senden zu können.

Er habe Fehler gemacht, sagte Libdem-Chef Clegg. Die Partei sei nicht mehr "unbefleckt"

Neben Carswell ist ein weiterer konservativer Abgeordneter übergelaufen, was in Kürze eine weitere Nachwahl nötig macht und der Ukip ihren zweiten Abgeordneten im Unterhaus bescheren könnte. Parteichef Nigel Farage wird zudem nicht müde zu betonen, dass viele weitere Tories nur auf den richtigen Moment zum Übertritt warteten. Bei den Konservativen sorgt das für latente Unruhe. Zuletzt hatte ein früherer Gönner der Tories verkündet, er werde der Ukip 100 000 Pfund spenden. Nachdem daraufhin führende Konservative spotteten, sie würden den Mann gar nicht kennen, erhöhte dieser seine Spende an die Ukip auf eine Million Pfund.

Obwohl die Tories auf ihrem Parteitag fortwährend davon sprachen, dass sie auf keinen Fall aus Angst vor einer Abwanderung von Wählern am rechten Rand zu einer Art "Ukip light" werden dürften, hat die Partei ihre Rhetorik in Bezug auf EU-Mitgliedschaft deutlich verschärft. Das kommt in Teilen der Partei gut an, ist aber bei denen umstritten, die glauben, dass Wahlen in der Mitte gewonnen werden.

Die Europafreunde unter den Konservativen sind regelrecht verzweifelt. Der europhile Parteiveteran Kenneth Clarke mahnte, dass die Tories seit 20 Jahren keine absolute Mehrheit mehr erreicht hätten, eben weil sie sich pausenlos in Diskussionen über die EU aufrieben. Seit Jahren lagen sie in sämtlichen Umfragen hinter Labour, zum Ende der diesjährigen Parteitagssaison gibt es allerdings erste Erhebungen, die die Tories knapp als stärkste Kraft sehen. Die politischen Beobachter gehen davon aus, dass das auch an Milibands missratener Rede liegt. Viele Wähler seien der Ansicht, dass ein Mann, der Premierminister werden wolle, in seiner letzten Parteitagsrede vor der Wahl im kommenden Mai nicht zwei der wichtigsten Themen schlicht vergessen dürfe.

Clegg stimmte seine Libdems darauf ein, dass sie auch nach der Wahl noch mitregieren könnten. Zwar kommen sie aktuell nur auf sieben Prozent der Stimmen, diese sind jedoch so verteilt, dass die Partei durch das Mehrheitswahlrecht voraussichtlich einen deutlich höheren Anteil an Sitzen gewinnt, was bei den derzeitigen Kräfteverhältnissen bedeuten würde: Wer regieren will, kommt an den Libdems nicht vorbei.

© SZ vom 09.10.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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