Libanon:Von der Satire  geht es Richtung Tragödie

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Eine Demonstrantin in Beirut macht ihrem Ärger Luft. (Foto: Hussein Malla/AP)

Nicht nur der immer selbe Premier-Kandidat befeuert die Unzufriedenheit der Bürger.

Von Moritz Baumstieger, München

Ein Premierminister, der in der Vergangenheit schon mehrmals seinen Posten verloren hat oder hinwarf, tritt nach Massenprotesten zurück. Die politische Elite des Landes verspricht, nun den von den Demonstranten geforderten grundlegenden Wandel voranzutreiben, sucht aber wieder in ihren immer gleichen Machtzirkeln nach einem Regierungschef. Nachdem mehrere Kandidaten absagen, wird der Neue präsentiert - es ist der Alte, bereit zum nächsten Comeback.

Was klingt wie der Plot einer Politsatire, ist Realität in Libanon. Saad al-Hariri, als Ministerpräsident abgewählt oder zurückgetreten in den Jahren 2011, 2016, 2017 und zuletzt am 29. Oktober dieses Jahres, sollte am Montag im Beiruter Parlament ein weiteres Mal inthronisiert werden. Dass es dazu dann aber doch nicht kam, lag nicht etwa an einem Einsehen der Führer von Libanons Machtblöcken - sie benötigten schlicht mehr Zeit, um in den Hinterzimmern die Fußnoten ihres neuen Arrangements auszuhandeln. Präsident Michel Aoun verschob die Parlamentssitzung ein weiteres Mal, nun wollen die Abgeordneten am Donnerstag den vierten Versuch unternehmen, über die neue Regierung unter Hariris Führung zu beraten.

Mit ihrem Verhalten der vergangenen Tage lieferten die Politiker in Beirut den Demonstranten eine punktgenaue Zusammenfassung, warum sie eigentlich auf die Straße gehen: Viele Bürger fordern ein Ende des Proporzsystems, das die wichtigsten Staatsposten zwischen den verschiedenen Glaubensgruppen verteilt und so seit Ende des Bürgerkriegs einen Macht- und Interessenausgleich im Land bewirken soll. Dadurch, dass ein Sunnit Premier, ein Christ Präsident und ein Schiit Parlamentschef werden muss und sich als Schutzmächte der jeweiligen Gruppen aufspielende Staaten wie Saudi-Arabien und Iran auch bei der Postenvergabe noch mitmischen, ist die politische Willensbildung in Libanon ohnehin erschwert. Dazu kommt, dass sich die Parteienlandschaft nach konfessionellen Linien ausgerichtet hat und die Anführer der jeweiligen Blöcke großteils Klientelpolitik betreiben. Die Folge ist ein dysfunktionaler Staat, der seinen Bürgern nicht einmal die grundlegendsten Dienstleistungen erbringen kann, in dem die Mitglieder der Macht- und Geldelite aber hervorragend leben. Eine Forderung der Protestbewegung war, dass zunächst eine Expertenregierung das Land wieder auf Kurs bringen soll. Eine solche lehnt aber vor allem die schiitische Hisbollah ab, die einerseits als Partei Abgeordnete im Parlament stellt, andererseits mit ihrer bewaffneten Miliz enormen Druck auf den Staat ausüben kann.

Trotz des Ernsts der Lage und wiederholter Angriffe vor allem auch der Hisbollah auf Demonstrationen nahm die Protestbewegung die Kabalen in ihrem Land lange mit Humor, zeigte große Kreativität bei ihren Parolen und Plakaten. Mittlerweile ist die Stimmung jedoch am Kippen: Am Wochenende kam es in Beirut zwei Nächte in Folge zu Ausschreitungen, bei denen jeweils mehr als 100 Menschen verletzt wurden. Die Polizei setzte Tränengas, Wasserwerfer und Gummigeschosse ein, um Demonstrationen aufzulösen. Doch auch von Gegnern des Regierungssystems ging Gewalt aus: In der Stadt Charibet al-Dschundi zerschmissen Demonstranten die Fenster eines Büros von Hariris Partei Zukunftsbewegung und legten Feuer. Die vermeintliche Politsatire Libanons droht in ein anderes Genre abzudriften - in Richtung Tragödie.

© SZ vom 17.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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