Libanon:Von Beruf Revolutionär

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Bleiben, bis etwas passiert – aber was eigentlich? Othman, Basel und Abed in ihrem Protestzelt. (Foto: Moritz Baumstieger)

Regen und der Bedrohung durch Milizen zum Trotz: Junge Demonstranten harren im Zentrum Beiruts in einer Zeltstadt aus. Sie fürchten, zum Kollateralschaden des US-iranischen Zwists zu werden.

Von Moritz Baumstieger, Beirut

Revolutionäre müssen Visionen haben, Revolutionäre müssen mutig sein. Und sie müssen viel aushalten können: Angriffe, Gummigeschosse und Tränengas. Fast schwieriger ist aber manchmal die Zeit, in der nichts passiert. In Libanon etwa müssen Umstürzler wie Abdou und Othman, Ali, Basem und Abed gerade zähe Langeweile ertragen, klamme Kälte und auch, dass die Vokabel "Dusche" vorerst aus ihrem Wortschatz gestrichen ist. Seit Oktober halten sie Beiruts Stadtmitte besetzt, die Tage, durch die sie der Rausch des Adrenalins trug, liegen hinter ihnen. Parlament und Regierung haben sich hinter Stacheldrahtrollen verschanzt, davor erstreckt sich nun ein Zeltlager, das vom zentralen Märtyrerplatz bis zum Regierungssitz Grand Serail reicht. Umgeben von Grafitti, Trümmern und ein paar in Abrufbereitschaft dösenden Kamerateams.

Inzwischen kommen nicht mehr Zehntausende. Hier harrt nur noch der harte Kern aus. Die Zeltstadt hat jedoch eine beeindruckende Infrastruktur, mit Müllabfuhr, Leihbibliothek, Wasserpfeifencafé und einer Gemeinschaftsküche, die auch viele der Straßenkinder versorgt, die der Bürgerkrieg im Nachbarland Syrien in die Stadt getrieben hat. Politisch geht derzeit nichts voran. Seit im fernen Bagdad der iranische General Qassem Soleimani von einer US-Drohne getötet wurde, fürchten die libanesischen Demonstranten - ähnlich wie die im Irak -, zum Kollateralschaden des US-iranischen Zwists zu werden.

Trotzdem bleiben sie. Abdou und Othman, Ali, Basem und Abed sind zwischen 23 und 26 Jahre alt und wollen ihre Nachnamen nicht nennen, Sie teilen sich ein garagengroßes Zelt gleich neben dem Symbol des Aufstands, einer riesigen, auf Holzplatten gemalten Faust mit der Aufschrift "Revolution". Das Original haben Angreifer der Hisbollah-Miliz im November niedergebrannt, jetzt reckt sich "Version 2.0" in den regennassen Himmel.

Inzwischen ist die Gewalt seltener geworden, auch von Seiten der Polizei, die Othman, Basel und Abed zum letzten Mal am 15. Dezember mit Gummigeschossen tiefe Wunden zugefügt hat. Jetzt kämpfen die Revolutionäre eher mit Wetter und Langweile: Seit Tagen regnet es. Wenn diese Sintflut die politische Kaste Libanons wegspülen würde, hätten die Jungs nichts dagegen. Um aber zu verhindern, dass ihre Matratzen wegschwimmen, haben sie in ihrem Zelt einen Boden aus Paletten eingezogen.

Im Zelt sitzen sie um einen kleinen Dieselofen, an dessen Rohr sie ihre Käsesandwiches wärmen, heute ist es sogar zu nass, um zur Küche zu laufen. Die Langeweile bekämpft Aboud mit einem gelegentlichen Schluck aus der Wodkaflasche. Basem und Othman rollen ab und zu einen Joint. Die fünf gehören nicht zu den intellektuellen Vordenkern der Bewegung, sind aber seit dem ersten Tag dabei. Bis auf Aboud hatte keiner von ihnen je Arbeit. Und seit ihm die Kaffeekette, bei der er servierte, den Lohn von 1000 Dollar im Monat auf 300 kürzte, ist auch Aboud von Beruf Revolutionär. Und er will bleiben, bis - ja, bis eigentlich was passiert?

Was als Sicherung von Teilhabe gedacht war, verkam zu einem Klientel-System

Als Premierminister Saad Hariri nach drei Wochen Demonstrationen zurücktrat, war das ein Erfolg. Aber die Protestbewegung wollte nicht, dass nur der Kopf der Regierung wechselt, sie forderte eine Generalinventur. Dass im Land selbst grundlegende Dinge wie Stromversorgung oder Müllentsorgung nicht ansatzweise funktionieren, liegt nach ihrer Ansicht auch am politischen System. Die Verfassung, die 1990 nach 15 Jahren Bürgerkrieg in Kraft gesetzt wurde, soll die Macht zwischen den Religionsgruppen ausbalancieren: der Staatspräsident muss ein Christ sein, den Premierminister stellen die sunnitischen Muslime, der Posten des Parlamentssprechers geht an einen Schiiten. Was als Sicherung von Teilhabe gedacht war, verkam aber zu einem klientelistischen System: Politiker sehen sich weniger der Nation als der eigenen Gruppe verpflichtet.

Gegen eine Generalinventur hat aber zum einen die Elite etwas, die nach langen Verhandlungen einen originellen Kandidaten für das Amt des Regierungschefs präsentierte: den gerade zurückgetretenen Saad Hariri. Zum anderen ist man im Hauptquartier der schiitischen Hisbollah strikt gegen eine Veränderung des Systems, das dem Zwitter aus Miliz und Partei eine Art Vetomacht zusichert. Ihre Schutzmacht Iran sieht die überkonfessionellen Proteste, die fast zeitgleich auch im Irak ausbrachen, als Bedrohung des iranischen Hegemonie-Projektes, das die Quds-Brigaden des getöteten Soleimani mit viel Geld und Geduld aufgebaut haben.

Wie im Irak gingen schiitische Milizen auch in Libanon mit Gewalt gegen die Demonstranten vor - allerdings mit Knüppeln, nicht mit Kugeln. Während in Libanon ein Demonstrant starb, wurden im Irak mindestens 500 Protestierende getötet. Als Qassim Soleimani der Tod aus der Luft ereilte, kam er gerade von einem Besuch beim libanesischen Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah. In den Schiiten-Vororten im Beiruter Süden hängen seither an fast jeder Ecke Porträts des "Märtyrers". Wer vom Flughafen in die Stadt fährt, könnte denken, in Bagdad sei Libanons Staatspräsident getroffen worden. Im Wasserpfeifenzelt am Märtyrerplatz dient ein Bild des iranischen Generals hingegen als Fußabstreifer, auf dem Mina Hassan grinsend ihre nassen Stiefel platziert.

Die Rechtsanwältin verbringt die Nächte daheim bei Mann und Kindern, tagsüber ist sie aber in der Zeltstadt. "Iran konnte in der ganzen Region Fuß fassen, weil unsere Länder so schlecht regiert werden, dass sie auf allen Ebenen instabil sind", sagt sie. "Aber die Ironie ist: Durch die von Soleimani aufgebauten Bewegungen sind die Staatsapparate nochmal schwächer geworden." So schwach, dass bald nichts mehr funktionierte und die Leute vor Wut auf die Straße gingen. "Das ist überall dasselbe - hier wie in Bagdad."

Einsicht erwartet sie nach dem Tod Soleimanis aber nicht von Iran. Sie fürchtet eher, dass auf Anweisung Teherans bald wieder Gewalt und Adrenalin auf den Märtyrerplatz zurückkehren.

In den Hinterzimmern der Machtzirkel läuft es jedenfalls wie immer: Nachdem Ex-Premier Hariri schließlich doch zurückzog, wurde ein Universitätsprofessor mit der Regierungsbildung beauftragt. Hassan Diab gilt zwar als Mitglied des Establishments, er kündigte aber an, zumindest eine der Forderung der Demonstranten zu erfüllen und eine Expertenregierung anzustreben. Wenigstens war das bis Mittwoch so. Dann bestellte ihn Präsident Michel Aoun ein und orderte ein klassisches Kabinett mit Vertretern aus den Reihen von Ex-Premier Hariri, und mit Leuten von der Hisbollah, die immer gegen parteilose Minister war.

Abdou und Othman, Ali, Basem und Abed stellen sich darauf ein, ein wenig länger auf dem Platz zu bleiben. Irgendwann muss es ja wieder wärmer und trockener werden. Auch Mina Hassan geht davon aus, weiterhin wenig Zeit in ihrem Büro zu verbringen.

© SZ vom 11.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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