Libanon:Schüsse über Beirut

Lesezeit: 3 min

Bislang sind die Proteste in Libanon friedlich verlaufen. Doch mittlerweile werden auch Autos angezündet, wie hier in der Hauptstadt Beirut. (Foto: Hassan Ammar/AP)

Nach wochenlangen Protesten versetzen Anhänger schiitischer Milizen die Menschen in Schrecken.

Von Paul-Anton Krüger, München

Sechs Wochen sind die landesweiten Proteste in Libanon weitgehend friedlich verlaufen. Es herrschte vielerorts Partystimmung auf den Plätzen. Die Demonstranten räumten morgens den Müll weg, die Polizei und das Militär hielten sich anders als in Irak zurück. Libanesen aus verschiedenen sozialen Schichten und Religionsgruppen wandten sich gemeinsam gegen die von ihnen als korrupt empfundene politische Elite des Landes, gegen ein System, das Ämter nach Konfessionszugehörigkeiten verteilt und damit der Korruption den Weg bereitet hat. Nun, vier Wochen nach dem Rücktritt der Regierung von Premier Saad al-Hariri, greifen die Gegner der Proteste zu Gewalt und Einschüchterung.

In der Nacht zum Dienstag kam es zum zweiten Mal in Folge zu Zusammenstößen zwischen Anhängern von Hisbollah und Amal, der beiden wichtigsten schiitischen Gruppen, mit Demonstranten und Unterstützern Hariris, der die wichtigste sunnitische Fraktion anführt. In der Nähe der Cola-Brücke im Westen der Stadt waren Salven aus automatischen Waffen zu hören, ohne dass es Meldungen über Verletzte oder Tote gab. Die Schüsse wurden abgegeben, als dort Hisbollah-Anhänger mit Flaggen der von Iran kontrollierten Organisation auf Motorrollern eintrafen; viele der Protestierenden ergriffen daraufhin die Flucht. Polizisten und Soldaten der libanesischen Armee versuchten, die Gruppen zu trennen.

Hisbollah-Anhänger, die sich mit Eisenstangen und Knüppeln bewaffnet hatten, fuhren wie schon am Abend zuvor auch durch andere, vor allem christliche Viertel der Stadt und skandierten: "Schia! Schia! Schia!" Unter den Demonstranten sind viele Christen. Die Protestierenden antworteten mit Sprechchören, in denen sie Hisbollah als Terroristen bezeichneten. "Hier ist Libanon - und nicht Iran", schallte es durch die Straßen. Es flogen Steine.

In Tyros, im Süden Libanons, attackierten Anhänger von Hisbollah und Amal Zelte von Demonstranten und brannten diese nieder. In der Nacht zuvor hatten sie Protestlager in Beirut attackiert, auch zerstörten sie Autos und beschädigten Geschäfte. In Tyros feuerten Soldaten Warnschüsse in die Luft und setzten Tränengas ein, um die Situation unter Kontrolle zu bekommen.

Die Machtdemonstration der Hisbollah wurde im Land als Zeichen gewertet, dass die als Partei im Parlament vertretene Gruppe bereit ist, Gewalt anzuwenden, um die Proteste zu beenden. Von Iran kontrollierte Milizen in Irak werden dort als Urheber der Gewalt gegen die Demonstranten in Bagdad gesehen, durch die inzwischen mehr als 330 Menschen getötet wurden. Auch in Iran hatten die Revolutionsgarden jüngst Proteste gegen die Erhöhung der Benzinpreise gewaltsam niedergeschlagen. Die Hisbollah unterhält eine Miliz, die von den Revolutionsgarden kontrolliert wird und militärisch die mit Abstand stärkste Kraft in Libanon ist.

Ein konfessioneller Konflikt könnte die libanesische Armee vor eine Zerreißprobe stellen

Falls die politische Krise in Libanon nun wieder in einen Konflikt umschlagen sollte, der entlang der konfessionellen Trennlinien ausgetragen wird, steht die Armee vor einer Zerreißprobe. Sie gehört zu den wenigen weithin akzeptierten Institutionen in Libanon und hat sich bislang weitgehend neutral verhalten, hinderte allerdings Hisbollah und Amal nicht daran, das zentrale Protestcamp in Beirut zu attackieren. US-Präsident Donald Trump hält derzeit, ohne eine Begründung zu geben, Militärhilfe im Wert von 100 Millionen Dollar zurück, die der US-Kongress bereits genehmigt hatte.

Die Hisbollah gewann bei den Parlamentswahlen im Mai 2018 zwar nur 13 der 128 Sitze, kommt aber zusammen mit verbündeten christlichen und schiitischen Parteien auf eine klare Mehrheit. Sie lehnt wie auch der mit ihr verbündete Präsident Michel Aoun, ein maronitischer Christ, die Forderung der Demonstranten nach einer Technokraten-Regierung ab. Hariri, der geschäftsführend als Premier fungiert, schloss "klar und entschieden" aus, sich erneut zum Regierungschef bestellen zu lassen. Er rief Aoun auf, Beratungen des Parlaments einzuberufen, um einen neuen Premier zu bestimmen. Aoun kündigte das für Donnerstag an; nach der Verfassung muss dieses Amt ein Sunnit bekleiden.

Die politische Ungewissheit in Libanon hat die wirtschaftliche Krise verschärft. Den Banken droht der Zusammenbruch, der Staat ist mit mehr als 150 Prozent der Wirtschaftsleistung verschuldet. Zwar gibt es offiziell noch keine Kapitalverkehrskontrollen, viele Banken weigern sich aber, ihren Kunden größere Beträge in Dollar auszuzahlen, der in Libanon als Zweitwährung neben dem Pfund dient. Bislang hat die Zentralbank den Wechselkurs der Landeswährung gestützt, eine Abwertung könnte aber unvermeidlich werden. Geldwechsler verlangen inzwischen 2000 Pfund für einen Dollar, der offizielle Kurs liegt bei etwa 1500 Pfund. Viele Gehälter und Pensionen werden in Pfund gezahlt, daher würde eine Abwertung die Mehrheit der Libanesen hart treffen.

© SZ vom 27.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: