Libanon:Leicht entzündlich

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Hunderttausende Libanesen fordern, dass die Regierung abtritt. Die Proteste halten auch an, als Ministerpräsident Saad al-Hariri Wirtschaftsreformen verspricht.

Von Dunja Ramadan, München

Parolen wie "Alle, wirklich alle" waren auf den Straßen von Beirut und Tripoli zu hören, gemeint ist: Keine konfessionelle Gruppe steckt hinter den Protesten, alle Libanesen sind auf den Straßen. (Foto: Marwan Naamani/dpa)

Es brennt in Libanon, erst in den Wäldern rund um Beirut, nun auch in den Straßen der Hauptstadt. Demonstranten haben Barrikaden errichtet und angezündet, Polizei und Militär sperrten Straßen. Hunderttausende forderten in den vergangenen Tagen den Rücktritt der Regierung unter Ministerpräsident Saad al-Hariri. Sie kritisieren Korruption und Misswirtschaft in der Führung und fordern eine Übergangsregierung aus Experten.

Die Proteste setzen die Einheitsregierung von Hariri ernsthaft unter Druck. Am Montagabend kündigte Hariri nach einer Kabinettssitzung umfassende Wirtschaftsreformen an. Die Gehälter von Spitzenbeamten und Abgeordneten würden um die Hälfte gekürzt, mehrere Institutionen sollen abgeschafft werden, darunter das Informationsministerium. Außerdem werde die Regierung Millionenbeträge für arme Familien ausgeben, unter anderem 160 Millionen Dollar für Hauskredite.

Hariri schlug in seinem 17-Punkte-Katalog zudem vor, ein Komitee zu gründen, das gegen die Korruption im Land vorgeht. Sogar zu Neuwahlen zeigte er sich grundsätzlich bereit. "Wenn ihr vorgezogene Parlamentswahlen wollt, werde ich euch zur Seite stehen", sagte er am Abend in einer Rede. Auslöser der Proteste war die Ankündigung, eine tägliche Gebühr auf die Nutzung von Kommunikationsdiensten wie Whatsapp zum Telefonieren zu erheben. Zwar zog die Regierung den Plan schnell wieder zurück, doch die Menschen blieben auf der Straße, ihre Wut hat sich über Jahre aufgestaut: Der Alltag vieler Libanesen wird immer beschwerlicher, sie haben mit Strom- und Wasserausfällen, steigender Arbeitslosigkeit und hohen Lebenshaltungskosten zu kämpfen. Hariris Regierungspartner, Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah, hatte sich am Samstag zu Wort gemeldet und versprochen, keine neuen Steuern zu erlassen. Er warnte allerdings, dass ein Regierungswechsel die Krise nicht lösen werde. Hisbollah, deren Milizionäre an der Seite der syrischen Regierungstruppen im Nachbarland kämpfen, schloss einen Rücktritt der Regierung allerdings aus. Dabei bröckelt die Regierung der nationalen Einheit längst. Samir Geagea, Chef der christlichen Partei Libanesische Kräfte, zog bereits am Samstag seine vier Minister ab. Die Koalition sei nicht in der Lage, die Probleme in den Griff zu bekommen. Libanon hat weltweit eine der höchsten Schuldenquoten. Die wirtschaftlich prekäre Lage scheint die Libanesen über die Konfessionsgrenzen hinweg geeint zu haben. In Libanon leben 18 anerkannte Religionsgemeinschaften. Anders als in den Protesten zuvor ließen die Menschen Banner von politischen und religiösen Führern zu Hause, stattdessen wehte der grüne Zedernbaum der libanesischen Flagge über Städten wie Beirut und Tripoli. Parolen wie "Alle, wirklich alle" waren zu hören, gemeint ist: Keine konfessionelle Gruppe steckt hinter den Protesten, alle Libanesen sind auf der Straße. Doch am Montagabend gab es erstmals Protestzüge von Anhängern der Hisbollah sowie der schiitischen Amal-Miliz. Männer fuhren auf Mopeds mit wehenden Parteiflaggen in Richtung der Demonstrationen in der Hauptstadt. Die Armee lieferte sich spätabends noch Gefechte mit ihnen, um sie von den Demonstranten abzuhalten.

© SZ vom 22.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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