Lehren aus Pegida:Der Rückzug ins Private muss aufhören

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Hinter unseren Gardinen leben wir alle in Parallelwelten.

(Foto: imago/CHROMORANGE)

Drei Lehren aus Pegida:

  • Wir alle leben in Parallelgesellschaften.
  • Der Rückzug ins Private führt zu einem politischen Integrationsdefizit.
  • Professionelle Akteure wie Politiker und Medienvertreter können den politischen Diskurs nicht alleine führen.

Ein Essay von Hannah Beitzer

Ein Abend in Leipzig. Ein Demonstrationszug von etwa 10 000 Menschen, die meisten davon Männer, einige mit sehr kurzen Haaren. Ein paar Alte sind mit Gehstock unterwegs, einer wedelt mit seinem Stock in Richtung Absperrung, hinter der Gegendemonstranten stehen: "Studenten! Geht doch mal was arbeiten!", ruft er. Viele auf seiner Seite schwenken schwarz-rot-goldene Fahnen, skandieren in Stadionlautstärke: "Deutschland, Deutschland, Deutschland."

Dazwischen eine Frau, knapp über 30, mit brauner Hornbrille. Viele der Männer hier beäugen sie kritisch, einer der Herren mit Gehstock leuchtet ihr mit einer Taschenlampe ins Gesicht. Und das, obwohl sie ihren Schreibblock schon lange weggepackt hat. Doch die Demonstranten merken trotzdem: Sie gehört nicht hierher.

Die Frau bin ich. 32 Jahre alt, Journalistin, aufgewachsen als Kind westdeutscher, ehemals studentenbewegter Eltern in Bayern. Nun wohne ich in Berlin, in einem dieser Stadtviertel, die hier als mahnendes Beispiel für die bevorstehende Islamisierung Deutschlands gelten. Und bin zum zweiten Mal in meinem Leben in Leipzig, um dort über "Leipzig gegen die Islamisierung des Abendlandes" zu berichten, den inoffiziellen Ableger der Dresdner Bewegung Pegida - "Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes".

Wir alle leben in Parallelgesellschaften

Ich gehöre also tatsächlich nicht dorthin. Die Lebens- und Gedankenwelt der Menschen auf der Demonstration ist mir in etwa so fremd, wie ihnen die meiner muslimischen Nachbarn in Berlin sein dürfte.

Von denen ich genaugenommen aber auch nicht viel weiß. Obwohl ich im türkischen Supermarkt einkaufe, habe ich wenig privaten Kontakt zu den Muslimen in meiner Nachbarschaft. Die einzigen Menschen mit muslimischen Wurzeln, die ich besser kenne, haben studiert, sind mäßig bis gar nicht religiös, um die 30, häufig Journalisten und mir sehr viel ähnlicher als ein Pegida- oder Legida-Demonstrant, mit dem ich doch angeblich ein gemeinsames christliches Wertefundament haben soll.

Es gibt in Deutschland nicht nur eine Kluft zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen oder Pegida und Anti-Pegida. Sondern zwischen allen möglichen gesellschaftlichen Gruppen und Schichten. Die meisten umgeben sich gerne mit Menschen, die ähnliche politische Einstellungen, ähnliche Werte, einen ähnlichen Bildungsabschluss, ähnliche Lebensentwürfe haben.

Oft ist es nicht nötig, die eigene Blase zu verlassen. Dazu kommen regionale Unterschiede: Was weiß der Westdeutsche über das Leben in Ostdeutschland? Wieviel Kontakt haben Münchner und Hamburger?

Unterschiedliche Leben? Gerne!

Natürlich gibt es übergeordnete Regeln, einen gesetzlichen Rahmen, in dem sich die ganze Vielfalt abspielt. Aber innerhalb dieses Rahmens ist jede Menge Platz für sehr unterschiedliche Lebensweisen. Welche Traditionen sollen beibehalten, welche überwunden werden? Was macht eine Familie aus? Wie sieht ein guter Job aus? Wie eine gute Erziehung? Wie ein erfolgreiches Leben? Wie ein zufriedenes Leben?

Das beantworten Menschen ganz unterschiedlich. Und führen deswegen unterschiedliche Leben. Das ist nicht weiter schlimm, es ist in einer pluralen Gesellschaft sogar gewollt und macht das Privatleben angenehm.

Doch neben dem Privatleben gibt es die Öffentlichkeit. Aus all den Menschen mit ihren unterschiedlichen Leben eine funktionierende Gesellschaft zu machen, ist nicht einfach. Eine fixe deutsche Leitkultur, wie sie sich viele der selbsternannten Patrioten in Leipzig oder Dresden vorstellen, gibt es nicht. Es ist unter anderem Aufgabe von Parteien, Politikern, zivilgesellschaftlichen Organisationen und auch von Meinungsmachern aller Arten, im öffentlichen Diskurs darüber zu verhandeln, was Deutschland ausmacht.

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