Singapur:Zurück auf Los

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Heng Swee Keat, bisher Vize-Premier und Finanzminister, tritt nun doch nicht an - und begründet das mit seinem Alter. Er ist 59. (Foto: FLORENCE LO/REUTERS)

Der Stadtstaat in Südostasien hatte sorgfältig für die Nachfolge seines langjährigen Premiers Lee Hsien Loong geplant, doch nun ist der designierte Nachfolger überraschend abgesprungen.

Von Arne Perras, München

Singapur ist ein kleiner, aber dicht bevölkerter Staat, der nicht dafür bekannt ist, dass er irgendetwas dem Zufall überlassen würde. Das sieht man schon an der Arbeit der Stadtplaner, die Quadratmeter für Quadratmeter auf der Insel so akribisch und durchdacht gestalten, dass jeder Schrebergärtner in Europa neidisch werden könnte. Ähnlich straff und geordnet ist die Organisation der Regierung. Umso überraschender war, dass sich nun die sorgfältigen Planungen für eine Nachfolge von Premierminister Lee Hsien Loong auf einen Schlag verflüchtigt haben.

Sein designierter Nachfolger hat plötzlich einen Rückzieher gemacht. Heng Swee Keat, bisher Vize-Premier und Finanzminister, erklärte Ende der vergangenen Woche, dass er das Spitzenamt, das ihm zugedacht war, nun doch nicht antreten werde. Bemerkenswert war dabei, dass er dies mit seinem Alter begründete. Der 59-Jährige machte deutlich, dass ein Jüngerer für die Aufgabe gebraucht werde, einer, der noch länger wirken könne als er.

Amtsinhaber Lee, Sohn des legendären Staatsgründers und singapurischen Übervaters Lee Kuan Yew, ist jetzt 69 Jahre alt. Er regiert seit 2004 und steht schon seit einigen Jahren unter wachsendem Druck, den Bürgern Singapurs aufzuzeigen, wie es personell weitergehen soll, wenn er sich zurückzieht. Sie wollen wissen: Wer wird den Stadtstaat nach Lee führen? Nun herrscht erst mal Verunsicherung.

Die Regierungspartei stellte bislang alle drei Premierminister

Die People's Action Party (PAP) regiert den wohlhabenden Stadtstaat seit der kolonialen Unabhängigkeit. Unter ihrer autoritären Führung und angesichts eines engmaschigen Systems der Kontrolle ist nie eine nennenswerte Opposition herangewachsen, die eine akute Gefahr für die Dominanz der PAP gewesen wäre. Die Regierungspartei stellte bislang alle drei Premierminister, und auch der vierte dürfte mit sehr großer Sicherheit aus ihren Reihen kommen.

Gleichwohl war 2020 zu beobachten, dass Gegner der PAP bei den Wahlen im Juli zulegten, ein Signal an die Partei Lees, dass Loyalität und Gefolgschaft der Bürger auch mal endlich sein könnten, selbst in einem Staat, der wie kein anderer eine Mischung aus autoritärer Führung und staatlicher Fürsorglichkeit für den Machterhalt nutzt.

Im Jahr 2015 hatte Lee die Diagnose eines Prostata-Tumors öffentlich gemacht, die Nation konnte in den Zeitungen auf Graphiken, Bildern und in allen Details nachvollziehen, wie die nötige Operation vor sich gehen würde. Einer Verunsicherung der Bevölkerung wollte die Partei mit maximaler Transparenz entgegenwirken. Doch trotz erklärter Heilung des Premiers drängt noch immer die Frage, wie die Partei für die Zeit nach Lee plant.

Momentan profitiert das Land kaum von seiner Position als Drehscheibe

Wenige glauben, dass Hengs abrupter Rückzug alleine mit dem Alter zu tun hat. Das war ja bekannt, als er in Stellung gebracht wurde. Gut möglich, dass vielmehr die Wahlen im vergangenen Jahr den designierten Nachfolger Lees und auch andere in der Partei ins Grübeln brachten. Denn Heng gewann sein Mandat nur sehr knapp, was als schwere Schlappe für ihn gedeutet wurde; in jedem Fall keine ideale Ausgangsposition, um die Führung einer Nation zu übernehmen, die sich zwar recht gut gegen die Pandemie wappnen konnte, aber wirtschaftlich auch in besonderer Weise betroffen ist: Singapur lebt vom internationalen Austausch, es ist eine Drehscheibe für Geschäftsleute, Banker und auch Touristen, doch davon kann der Stadtstaat momentan kaum profitieren.

Das kleine Singapur, in dem fünfeinhalb Millionen Einwohner leben, ist angesichts mangelnder Ressourcen auf Innovation, internationale Vernetzung und clevere Geschäftsideen angewiesen. Die PAP hat dies strategisch verinnerlicht, doch sie muss sich jetzt erst mal auf die ungelöste Führungsfrage konzentrieren. Lee, der eigentlich mit 70 Jahren als Regierungschef aufhören wollte, erklärte schon 2020, dass er zumindest so lange weitermache, bis die Pandemie vorbei ist. Nun aber steht er ohne Nachfolger da, was die Lage doch erschwert. Zurück auf Los. Ein seltsamer Moment für die Singapurer, die sich an so viel politische Ungewissheit erst noch gewöhnen müssen.

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