Barack Obama und Raúl Castro haben es tatsächlich getan. Sie haben sich an einen Tisch gesetzt, sie haben sich unterhalten - und dann haben sie sich in aller Öffentlichkeit die Hand gegeben. Na bitte, geht doch. Man kann die Beratungsstunden und Telefonminuten wahrscheinlich nicht zählen, die in Havanna und Washington nötig waren, bis es zu diesem Händedruck kommen konnte. Nach 55 Jahren Nachbarschaftsfehde ist das auch kein Wunder. Es haben sich ja schon die unglaublichsten Dinge zugetragen im Misstrauensverhältnis zwischen den USA und Kuba, inklusive all der gescheiterten CIA-Attentate mit explodierenden Zigarren und vergifteten Martinis.
Jetzt also der Handshake von Panama. Eine Alltagsgeste, die zu einem Weltereignis wird, weil sich die Spitzenpolitiker bei-der Länder ein halbes Jahrhundert lang kaum je auf Handschlagreichweite angenähert haben. Als Symbol für einen Wendepunkt wird dieses Bild in Erinnerung bleiben. Man kann aber nicht sagen, dass am Wochenende in Panama der Wandel begonnen hätte. Eher ist es so, dass die Regierungen in Washington und Havanna nun auch offiziell einsehen, dass sich die Welt längst gewandelt hat. Dass der Kalte Krieg vorbei ist. Sogar in Kuba.
Seit der große Revolutionsführer Fidel Castro nur noch ab und an als Trainingsanzugs-Model in Erscheinung tritt, seit sein kleiner Bruder Raúl, 83, die Regierungsgeschäfte führt, ist vom Sozialismus klassischer Prägung nicht mehr allzu viel übrig. Die alten Autos und die alten Sprachhülsen, die Allergie gegen Freidenker - das war es auch schon fast.
Raúl Castro ist offenbar nicht mehr gewillt, bloß den Resteverwalter der Revolution zu spielen. Tief im Herzen mag er noch ein Guerillero sein. Aber beim Amerika-Gipfel in Panama ist er als Realo aufgetreten, nicht als Fundi. Als ein pragmatischer Genosse, dem jene Theatralik fremd ist, die seinen Bruder zum kommunistischen Popstar machte. Statt "Sozialismus oder Tod" heißt es bei ihm eher: Sozialismus von mir aus, aber nur, wenn es nicht so viel kostet. Privatinvestoren und ausländisches Kapital sind unter seinem Kommando nicht nur geduldet, sie sind erwünscht. Sie werden aktiv gesucht.
Wer Havanna ohne McDonald's sehen will, der sollte sich beeilen
Kubas Handelsminister Rodrigo Malmierca Díaz diskutierte in Panama wie selbstverständlich mit den Vorstandsvorsitzenden von Coca-Cola, Walmart und Citigroup. Der Facebook-Gründer Mark Zuckerberg war auch dabei. Malmierca Díaz ließ keinerlei Berührungsängste erkennen zu diesem All-Star-Team des Kapitalismus. Er schloss mit dem Wunsch, dass mehr internationale Unternehmen die Kubaner beim Bau einer sozialistischen Gesellschaft unterstützen mögen. So wie in der Hafenstadt Mariel unweit Havannas, wo gerade eine Freihandelszone aus dem Boden gestampft wird - mit Kapital aus Brasilien, für Investoren aus Singapur.
Für einen Pragmatiker wie Raúl Castro gibt es im Grunde gar keine andere Wahl, als mit dem alten Klassenfeind zu paktieren. Kuba hat sich tapfer gewehrt in den vergangenen fünf Jahrzehnten, aber es war dabei stets von fremder Hilfe abhängig. Zunächst von der Solidarität aus der Sowjetunion, dann vom Erdöl aus dem chavistischen Venezuela. Die Sowjetunion gibt es schon lange nicht mehr, dem Untergang des Chavismus kann man derzeit live zusehen. Raúl Castro ist gut beraten, die Aufnahmebedingungen in einem neuen Freundeskreis auszuloten.
Auch der Friedensnobelpreisträger Obama dürfte ein ganz sachliches Interesse an einer Einigung mit Kuba haben. Lateinamerika war vielleicht einmal der Hinterhof von Washington, im Moment entwickelt es sich eher zum Vorgarten von Moskau und Peking. Der wichtigste Handelspartner von Brasilien, Chile und Peru sind heute nicht mehr die USA, sondern China. Auch das kriselnde Argentinien hält sich mit chinesischen Krediten und russischen Handelsbeziehungen über Wasser. Russland engagiert sich verstärkt in Ecuador, China in Venezuela, Bolivien und Nicaragua. Parallel dazu wächst in all diesen Ländern der Anti-Amerikanismus. Obama hat den alten Hinterhof lange vernachlässigt. Wenn er seinen Einfluss dort nicht vollends verlieren will, muss er endlich gegensteuern. Kuba ist nicht der schlechteste Anfang für eine Charmeoffensive.
Zumal der Charme des Dollars dort offenbar Wunder wirkt. "Obama ist ein ehrlicher Mann", der Satz stammt nicht vom Pressesprecher des Weißen Hauses, sondern von Raúl Castro. Viele Kubaner verbinden mit diesem ehrlichen Mann aus Washington die berechtigte Hoffnung auf mehr Freiheit. Aber es wird jene Art von Freiheit sein, deren Tücken ihrem Land bislang erspart geblieben sind. Wer Havanna noch einmal ohne McDonald's sehen will, der sollte sich beeilen.