Krisenmanagement:Wähler Doofmann

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Politisches Schweigekartell: Im nächsten Jahr wird die Lage bei den Steuereinnahmen katastrophal. Doch keine Partei sagt, wie teuer die Finanzkrise für die Bürger wird. Einige versprechen stattdessen Wohltaten - und alle machen den Wähler zum Doofmann.

Guido Bohsem

Seit dem Wochenende bereichern zwei bemerkenswerte Dinge den ansonsten spannungsarmen Wahlkampf. Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) erschuf erstens einen neuen Politikertyp, den Doofmann. Zusammen mit seinem Wirtschaftsminister-Konkurrenten Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) setzte er sich zweitens zu Anne Will ins Fernsehen, um zu zeigen, dass es vom Doofmann auch eine Mehrzahl geben kann.

Der Polit-Doofmann ist nach Steinbrückscher Definition einer, der den Bürgern kurz vor der Wahl die Wahrheit sagt, obwohl alle anderen es nicht tun. Während der Doofmann erläutert, dass die tiefste Rezession in der Geschichte der Republik nicht ohne Folgen für die Sozialsysteme und die Haushalte bleiben wird, versprechen die Anti-Doofmänner Steuersenkungen und andere kostspielige Wohltaten. Weil die Wähler den Doofmann bestrafen und den Anti-Doofmann wählen, kann kein erfolgsorientierter Politiker die Rolle des Doofmanns spielen wollen, so der Minister.

Angesichts dieser These überraschte es dann doch, dass Steinbrück und Guttenberg im Fernsehen bereit waren, die Doofmänner zu geben, ein ganz, ganz kleines bisschen wenigstens. Verdruckst, verschwurbelt und verschüchtert sprachen die Herren über "schwierige Lagen bei der Ausgaben- und Einnahmenseite" und davon, dass "Liebgewonnenes auf den Prüfstand" müsse. Ein bisschen Wahrheit war das, doch lange nicht genug.

Erneut verpassten Spitzenvertreter der beiden Volksparteien die Gelegenheit, das Ausmaß der kommenden Einschnitte und Kürzungen realistisch darzustellen. Denn eins ist klar: 2010 wird die Lage bei den Steuereinnahmen nicht nur schwierig sein, sie wird katastrophal. Egal, wer in der nächsten Legislatur regiert, er wird Liebgewonnenes nicht nur auf den Prüfstand stellen. Er wird es abschaffen müssen, im Steuersystem und in den Sozialsystemen.

Steinbrücks Doofmann-These erklärt aber nur ansatzweise, warum ein Schweigekartell den aktuellen Wahlkampf bestimmt. Es sind im Wesentlichen drei Gründe, die eine Debatte über die Folgen der Krise ersticken und alle haben sie mit dem Umstand zu tun, dass Deutschland von einer großen Koalition regiert wird.

Vor vier Jahren wurde allerseits prophezeit, dass der Einfluss der Lobbyisten sinken werde, wenn Union und SPD zusammen regieren würden. Mit einer großen Koalition fehle ihnen die Möglichkeit, über die oppositionelle Volkspartei Stimmung zu erzeugen und Einfluss zu nehmen. Durch das Bündnis werde der mediale Resonanzboden entzogen, der den Interessen Gehör verschafft. Wie den Lobbyisten geht es nun den Wählern. Weil Union und SPD regieren und somit formal für die Lage verantwortlich sind, debattieren sie die Folgen der Krise nicht und lassen die Anliegen der Bürger außer Acht. Der düstere Ausblick soll die eigene Bilanz auf keinen Fall verhageln.

Zweitens fällt es Union und SPD schwer, sich inhaltlich voneinander abzuheben, weil sie vier Jahre lang im Konsens regiert haben. Statt auf Inhalte setzen sie deshalb auf Personalisierung. Vor allem die Union hat eigentlich nur ein einziges Programm und das heißt Angela Merkel. Komplexe Themen wie Gesundheitspolitik, Rentenanpassung oder Haushaltskonsolidierung stören in einem derart ikonisierten Wahlkampf nur.

Obwohl es ihre Aufgabe wäre, entfachen auch die kleinen Oppositionsparteien keine Debatte über die Folgen der Krise. Es ist nicht in ihrem Sinne. Denn insbesondere FDP und Linkspartei vertreten kleine Gruppen, denen sie damit schadeten. Würden die Liberalen die katastrophale Haushaltslage diskutieren, könnten sie keine Steuersenkungen versprechen. Würde die Linke die Krise der Sozialkassen auf die Tagesordnung heben, stellten sich auch ihre Versprechungen als Luftnummern raus.

Es gibt tatsächlich einen Doofmann in diesem Spiel: Das ist der Wähler.

© SZ vom 22. 09. 2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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