DAS VOLK Der Aufruhr in Ägypten hat Menschen verschiedenster Schichten erfasst. Unter den Protestierenden sind Junge und Alte, Islamisten, westlich-orientierte Jugendliche, Mütter in wallenden Gewändern und sogar manchmal mondäne, schick gekleidete Ägypterinnen ohne Kopftuch. Alle eint ein Wunsch: Den Präsidenten Hosni Mubarak nach fast 30 Jahren an der Spitze des Staates zu stürzen. Keine Einigkeit herrscht jedoch in der Frage, wie es danach weitergehen soll.
DER PHARAO Muhammad Hosni Mubarak, Jahrgang 1928, regiert Ägypten seit Oktober 1981 mit harter Hand. Der Autokrat stützt seine Herrschaft auf Polizei und Streitkräfte. Im Vergleich zu anderen arabischen Führern gilt Mubarak zwar als vergleichsweise moderat - allerdings ließ der frühere Kampfjet-Pilot seit seinem Antritt immer wieder den Ausnahmezustand verlängern, um so gegen innenpolitische Gegner leichter vorgehen zu können. Der 82-Jährige will trotz seines Alters und Gesundheitproblemen offensichtlich nicht von der Macht lassen - seine Vergangenheit als General sorgt bislang dafür, dass die Armee ihm die Treue hält und hinter den Kulissen versucht, ihm einen halbwegs ehrenvollen Abgang zu ermöglichen. Mubarak selbst löst sich in kleinen Schritten von der Macht: Er erklärte in der Nacht zum 2. Februar, auf eine neue Amtszeit verzichten zu wollen. Im Staatsfernsehen sagte er, er werde bei den nächsten Wahlen im September nicht mehr kandidieren, wolle aber die Macht vorher nicht abgeben. Der Opposition dürfte dies nicht reichen.
DIE MUSLIMBRÜDER Die Muslimbruderschaft wurde in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts gegründet und ist die größte und am weitesten vernetzte Oppositionsgruppe in Ägypten. Sie wurden in den frühen Jahren der Republik stark verfolgt, seit einiger Zeit dürfen sie einzelne Abgeordnete ins Parlament schicken. Die Bruderschaft ist sozial engagiert und betreibt beispielsweise Krankenhäuser. Die islamistische Gruppe forciert seit langem den Sturz Mubaraks. Inzwischen haben die Muslimbrüder erklärt, eine Übergangsregierung unter Friedensnobelpreisträger Mohamed ElBaradei mittragen zu wollen. Die Bruderschaft könnte mittelfristig selbst die Macht am Nil erringen. Diese Aufnahme vom Mai 2010 zeigt Abgeordnete der Muslimbrüder im Parlament, die gegen die Verlängerung des Ausnahmezustandes protestieren.
DER HOFFNUNGSTRÄGER Mohamed ElBaradei hat sich als Übergangspräsident angeboten. Viele Jahre stand er der internationalen Atomenergiebehörde der Vereinten Nationen (IAEA) vor. Für sein Eintreten gegen den militärischen Missbrauch der Atomenergie sowie für die sichere Nutzung der Atomenergie für zivile Zwecke erhielt er 2005 zusammen mit der IAEA den Friedensnobelpreis. Bereits im vergangenen Jahr hatte sich ElBaradei offen gegen Mubarak gestellt und gründete die Nationale Vereinigung für Wandel (NAC), eine Dachorganisation für mehrere Oppositionsgruppen. ElBaradei kam nach Ausbruch der Unruhen nach Ägypten, bot sich als Chef einer Übergangsregierung an und mischte sich unter die Demonstranten. Obwohl er zwischenzeitlich von Sicherheitskräften unter Hausarrest gestellt worden war, gibt er sich unerschrocken - und forderte während des "Marsches der Million" Präsident Mubarak auf, innerhalb von drei Tagen abzutreten. Diese Frist läuft am Freitag aus - ElBaradei taufte den 5. Februar den "Tag des Abgangs".
DIE POLIZEI Die Polizeikräfte sind der verlängerte Arm von Hosni Mubarak und damit erklärter Gegner der Demonstranten. Sie setzen Gummigeschosse und Tränengas ein, immer wieder auch gegen friedliche Demonstranten. Augenzeugen berichten, dass unter den Plünderern, die nachts Fensterscheiben einwerfen und Läden ausräumen, auch Polizisten sind. Vermutlich schüren sie auf Befehl des Präsidenten die Gewalt, um dann in seinem Namen hart durchgreifen zu können. Weil sich die Polizei aus manchen Vierteln zeitweise zurückgezogen hat, haben sich bereits Bürgerwehren gegen Plünderer gebildet.
DIE ARMEE Es waren Bilder, die westliche Beobachter überraschten: Die Soldaten, die Mubarak am Freitag mit gepanzerten Fahrzeugen und Panzern nach Suez, Alexandra und Kairo schickte, wurden von den Menschen mit offenen Armen empfangen. Die Armee hat in Ägypten einen guten Ruf, obwohl sie Mubaraks Herrschaft seit 30 Jahren unterstützt. In den vergangenen Tagen sicherte das Militär öffentliche Gebäude und zentrale Punkte und ging nicht gegen die Demonstranten - aber auch kaum gegen Plünderer - vor. Die Streitkräfte haben - ähnlich wie in Tunesien - in diesem Konflikt eine Schlüsselrolle inne. Am 31. Januar stellte sich das Militär hinter das eigene Volk, aber noch nicht offen gegen Präsident Hosni Mubarak. Die Forderungen der gegen den Staatschef demonstrierenden Regimegegner seien "legitim", sagte ein Armeesprecher. Der Offizier erklärte: "An das große ägyptische Volk. Eure Armee anerkennt die rechtmäßigen Forderungen des Volkes. Wir haben keine Gewalt eingesetzt und werden keine Gewalt einsetzen gegen das ägyptische Volk." Während des "Marsches der Million" hielt sich die Armee zurück: Sie kontrollierte alle Menschen, die sich dem Tahrir-Platz nähern wollten und machte den Organisatoren deutlich, welchen Spielraum diese haben: Sie dürfen friedlich auf dem zentralen Platz demonstrieren, aber den Marsch auf den zehn Kilometer entfernten Präsidentenpalast wollen die Generäle nicht zulassen. Das Kalkül: Die Lage soll nicht eskalieren, was die Armee doch noch zum Eingreifen zwingen würde.
DER STRIPPENZIEHER Omar Suleiman führt seit 1993 den so mächtigen wie berüchtigten Geheimdienst Mukhabarat. Der Berufsoffizier gilt als moderat, öffentlichkeitsscheu und einflussreich. Nach Ausbruch der Unruhen schuf der Staatschef Mubarak das Amt des Vizepräsidenten für Suleiman. In der Vergangenheit fiel der 74-Jährige als Vermittler zwischen Israelis und Palästinensern auf. Er gilt als relativ unabhängig, weil er nicht Mitglied der Präsidentenpartei ist. Suleiman hält sich bislang bedeckt, was seine Ambitionen betrifft. Rückendeckung durch das Militär und den Geheimdienst dürfte ihm aber sicher sein. Zuletzt wurde bekannt, dass er mit der Opposition und amerikanischen Diplomaten über die Bildung einer Übergangsregierung verhandelt - in der er eine wichtige Rolle spielen dürfte.
DER WESTEN UND DER BESORGTE NACHBAR Für den Westen ist der Aufruhr in Ägypten ein doppeltes Problem: Einerseits mahnen Politiker wie US-Präsident Barack Obama und Bundeskanzlerin Angela Merkel den umstrittenen "Pharao" Mubarak zu demokratischen Reformen. Auf der anderen Seite fürchteten sie eine Islamisierung Ägyptens, sollte Mubarak stürzen. Barack Obama hat sich nun klar geäußert: Nach der nächtlichen Fernsehansprache drängte der US-Präsident in einem persönlichen Gespräch Mubarak, sofort den Weg zur Demokratie freizumachen. "Ein geordneter Übergang muss bedeutungsvoll sein, muss friedlich sein und muss jetzt beginnen", so Obama. Hosni Mubarak gehörte zu den wichtigsten Partnern des Westens und Israels im Nahen Osten und gilt als stabile Stütze der Bemühungen um Frieden in der Region. Öffentlich hält sich die israelische Regierung mit Kommentaren zu den Vorgängen im Nachbarland zurück. Allerdings berichten israelische Medien, die Regierung unterstütze hinter den Kulissen das Regime Mubaraks - Jerusalem sorgt sich um die Stabilität der Region. Unter den protestierenden Mubarak-Gegnern befinden sich auch etliche Israelhasser. Viele Schmäh-Plakate, die den Präsidenten darstellen, sind zusätzlich mit Davidsternen versehen.