Konflikte:Reportage: Eine Woche zwischen Krieg und Frieden

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Berlin/Minsk (dpa) - An diese Woche wird sich Angela Merkel auch noch erinnern, wenn sie längst nicht mehr im Kanzleramt ist. Eine Woche, um im Ukraine-Konflikt mit seinen schon mehr als 5500 Toten vielleicht doch noch eine Wende zum Besseren zu schaffen.

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Berlin/Minsk (dpa) - An diese Woche wird sich Angela Merkel auch noch erinnern, wenn sie längst nicht mehr im Kanzleramt ist. Eine Woche, um im Ukraine-Konflikt mit seinen schon mehr als 5500 Toten vielleicht doch noch eine Wende zum Besseren zu schaffen.

Die wichtigsten Schauplätze: Berlin, Kiew, Moskau, Washington, Minsk. Die entscheidenden Gesprächspartner: die Präsidenten aus Frankreich, der Ukraine und den USA. Und, vor allem: Kremlchef Wladimir Putin. Sieben Tage im Überblick.

DONNERSTAG, 5. FEBRUAR (BERLIN, KIEW):

Kurz vor Mittag will die Regierung in Berlin darüber informieren, was beim bevorstehenden Washington-Besuch der Kanzlerin wichtig wird. Das ist vor solchen Reisen üblich. Doch der Termin wird kurzfristig abgesagt. Irgendetwas muss passiert sein. Die Auflösung kommt bald: Merkel startet zusammen mit Frankreichs Präsident François Hollande eine Friedensmission für die Ukraine. Noch am Abend will sie nach Kiew. Große Überraschung. Klar ist: Das kann auch scheitern. Merkel geht ein Risiko ein - für sie untypisch.

Vor dem Abflug trifft sie sich noch mit dem deutschen Raumfahrer Alexander Gerst. Er hat eine schwarz-rot-goldene Flagge mitgebracht, die mit ihm 2566 Mal um die Erde geflogen ist. Zurückgelegte Strecke: mehr als 100 Millionen Kilometer. Das wird Merkel bei aller Reisediplomatie niemals schaffen. Aber auf mehr als 20 000 Flugkilometer bringt sie es in den nächsten Tagen schon.

Am Abend dann beim ukrainischen Staatschef Petro Poroschenko im Präsidialamt, zusammen mit Hollande. Derselbe Blazer wie in Berlin: hellbraun mit dunklem Kragen. Poroschenko drückt ihr einen der Blumensträuße in die Hand, wie man sie in Kiew auf den Straßen kriegt. Das Papier lässt er drum. Ein Abendessen zu dritt. Von der Unterhaltung wird kaum etwas bekannt. Im Gehen ruft Merkel Hollande nochmals zurück: „François, François!“, zieht ihn an der Schulter. Der Präsident macht kehrt.

FREITAG, 6. FEBRUAR (BERLIN, MOSKAU):

Zurück im Kanzleramt, nach einer kurzen Nacht. Die Kleiderordnung für heute: grauer Hosenanzug, silberne Kette. Nach einem Termin mit dem Iraker Haider al-Abadi sagt Merkel zum ersten Mal etwas zum Zweck ihrer Bemühungen. „Wir tun das, was wir glauben, was in dieser Stunde unsere Aufgabe ist: nämlich alles, was in unserer Kraft steht, zu versuchen, um dem Blutvergießen ein Ende zu bereiten.“

Dann geht es mit dem Kanzler-Airbus „Konrad Adenauer“ nach Moskau. Die meisten Plätze bleiben leer. Merkel nimmt nur die engsten Mitarbeiter mit. Am Flughafen Wnukuwo-2 ist es schon dunkel. Es schneit etwas. Weiter mit Blaulicht in die Stadt. Die russische Presse nennt die Kanzlerin „Angela Mira“. Zu deutsch: „Friedensengel“.

Im Kreml wartet Putin. Er bringt Merkel und Hollande gleich in sein Arbeitszimmer. Die üblichen Bilder vom Händeschütteln gibt es nicht. Auf dem runden Tisch nur ein Rosengesteck, Kugelschreiber für jeden und die Kopfhörer für die Übersetzung. Zwischendurch wird dann doch noch ein Termin für die Kameras eingeschoben. Alle wirken angespannt. Viel geredet wird nicht.

Nach fünf Stunden ist das Gespräch vorbei. Kurz nach Mitternacht kommt ein Kreml-Sprecher heraus und verkündet, dass weiterverhandelt wird. Alle loben die „konstruktive“ Atmosphäre. Grundlage für alles Weitere: ein deutsch-französisches Papier, mit dem die Minsker Vereinbarung vom September endlich umgesetzt werden soll. Keine Details. Aber immerhin lässt es sich Putin nicht nehmen, Merkel persönlich zum Flughafen zu bringen.

SAMSTAG, 7. FEBRUAR (MOSKAU, MÜNCHEN, BERLIN):

Noch in der Nacht geht es nach München zur Sicherheitskonferenz, einer der wichtigsten Termine für die weltweite außenpolitische Gemeinde. Merkel landet gegen 02.00 Uhr. Das Tagungshotel „Bayerischer Hof“ ist ausgebucht. Merkel weicht aus ins „Westin Grand“.

Auf der Konferenz wird sie mit Applaus empfangen. Die silberne Kette kennt man aus Moskau. Der Blazer ist rot und aus Samt. Poroschenko, der auch in München ist, hat dazu die passende Krawatte. Jetzt muss Merkel doch etwas sagen: Alle warten auf ein Zeichen, wie es in Moskau gelaufen ist. Sie sagt: „Auch nach den Gesprächen ist ungewiss, ob sie Erfolg haben.“ Viele sind enttäuscht.

In der Diskussion muss Merkel ihr Nein zu Waffenlieferungen verteidigen, vor allem Amerikaner und Briten machen Druck. „Militärisch ist das nicht zu gewinnen, das ist die bittere Wahrheit“, sagt die Kanzlerin. Sie wirkt erschöpft. Anschließend informiert sie Poroschenko und US-Vizepräsident Joe Biden über die Gespräche mit Putin. Dann noch andere Termine mit den wichtigsten ausländischen Gästen, bevor es am frühen Nachmittag zurück nach Berlin geht.

SONNTAG, 8. FEBRUAR (BERLIN, WASHINGTON):

Morgens Telefon-Diplomatie. Merkel spricht in einer Schaltkonferenz mit Hollande, Putin und Poroschenko. Da nicht alle ein und dieselbe Sprache sprechen sitzen Dolmetscher dabei. Das macht eine Telefonschalte schwieriger als die Simultan-Übersetzung während einer direkten Begegnung. Putin spricht Deutsch, Merkel Russisch. Sie kann Putin und Poroschenko verstehen, zu ihrem Bedauern aber kein Französisch. Wenn sie später mal weniger zu tun haben wird, würde sie das gern lernen, hat Merkel kürzlich gesagt.

Die Staats- und Regierungschefs beschließen ein Treffen zu viert, was eigentlich schon Mitte Januar in Kasachstan stattfinden sollte. Jetzt will man sich in Minsk treffen, in Weißrussland. Ein kleiner Hoffnungsschimmer in der dramatischen Krise. Mehr ist es für Merkel noch nicht.

Um 14.15 Uhr geht es dann vom Regierungsflughafen Berlin-Tegel nach Washington. Achteinhalb Stunden in der Luft. Die wichtigsten Nachrichten bekommt sie mit. Die Regierungsmaschine ist bequem – die weltpolitische Lage ist es nicht. Merkel geht noch einmal die Themen für das wichtige Treffen mit US-Präsident Barack Obama durch. An oberster Stelle steht die Ukraine-Krise. Ansonsten: Vorbereitung des G7-Gipfels im Juni auf Schloss Elmau in Bayern, die Gewalt der Terrorgruppe Islamischer Staat (IS), Griechenland und nicht zuletzt der Vertrauensverlust zu den Amerikanern durch die NSA-Affäre.

Mit sechs Stunden Zeitverschiebung landet Merkel in der US-Hauptstadt. Über dem blauen Blazer trägt sie eine Steppjacke. In Washington ist es noch hell. Nach deutscher Zeit um 01.00 Uhr in der Nacht trifft sie sich erst einmal mit hochrangigen Vertretern aus Wirtschaft und Politik. In den frühen Morgenstunden endet für sie der „Tag“.

MONTAG, 9. FEBRUAR: (WASHINGTON, OTTAWA)

Um 08.30 Uhr der erste offizielle Termin, mit weiblichen Führungskräften. Heute trägt Merkel lila. Dann fährt sie zum Weißen Haus. Im Garten führt ein Bediensteter den Hund der Obamas aus. Der portugiesische Wasserhund läuft frei über den Rasen. Merkel hat Angst vor Hunden, es kommt aber nicht zu einer Begegnung. Um 16.15 Uhr begrüßt Obama die Kanzlerin im Oval Office, seinem Dienstzimmer. Mit in der Runde: Vize-Präsident Joe Biden und Außenminister John Kerry. Auf deutscher Seite Merkels außenpolitischer Berater Christoph Heusgen und ihr Wirtschaftsexperte Lars-Hendrik Röller. Die Amerikaner haben Wassergläser vor sich stehen, die Deutschen nicht.

Um 12.00 Uhr treten Merkel und Obama vor die Presse. Der US-Präsident gratuliert, etwas erstaunlich, Merkel erst einmal zur dritten Kanzlerschaft. Die hatte sie ja schon im Herbst 2013 angetreten. Und zum deutschen Erfolg bei der Fußball-WM, was man ja auch schon seit Juli 2014 weiß.

Dann aber die Botschaft an Putin: Egal was kommt – ob Waffenlieferungen der USA an die Ukraine, die Merkel ablehnt, oder nicht – Deutschland und die USA stehen Seite an Seite. Später lobt Obama noch Merkels Friedensinitiative: „Wenn es zum Erfolg kommen wird, dann wird das sicherlich auch mit der außerordentlichen Geduld und den Anstrengungen von Bundeskanzlerin Merkel und ihres Teams zu tun haben.“

Am Abend noch ein Abstecher zu Weltbankchef Jim Young Kim. Dann weiter nach Ottawa. Landung um 17.30 Uhr, dann ein Vier-Augen-Gespräch mit Kanadas Regierungschef Stephen Harper. Auch wichtig für die G7-Präsidentschaft. Wieder eine Pressekonferenz.

Hier übt Merkel im Stillen schon mal Französisch. Im zweisprachigen Kanada wechselt der Premierminister ständig vom Englischen ins Französische und zurück. Da er in beiden Sprachen oftmals dasselbe sagt, leitet Merkel aus dem Englischen ab, was Harper gleich auf Französisch sagen wird. Noch ein Essen und zurück zum Flughafen. Um 21.00 Uhr zurück nach Berlin. Kurze Nachbesprechung der Reise. Müde sieht Merkel nicht aus. Dann legt sie sich schlafen.

DIENSTAG, 10. FEBRUAR: (BERLIN)

Zurück in Tegel, Landung um 10.30 Uhr. Ein Tag ohne offizielle Termine. Keine Pressekonferenz, keine Rede, kein Auftritt vor einem Verband, keine militärischen Ehren für einen ausländischen Gast.

Aber frei hat Merkel nicht. Jetzt geht es darum, das Treffen in Minsk genauestens vorzubereiten. Wieder viele Telefonate. Der Friedensplan muss viel detaillierter werden als das Abkommen aus dem vorigen Jahr, damit den verfeindeten Parteien wenig Möglichkeiten bleiben, die Vereinbarung hinterher wieder falsch zu verstehen.

Aber noch ist nicht ganz sicher, ob der Gipfel in Minsk tatsächlich stattfindet. Wenn, dann fliegt Merkel nicht allein. In der Kanzlermaschine soll auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier mitkommen.

MITTWOCH, 11. FEBRUAR (BERLIN, VERMUTLICH MINSK):

Endlich mal wieder ein Termin, der nach Routine aussieht: Kabinettssitzung im Kanzleramt, wie jeden Mittwoch, gefolgt von einem Treffen mit Gärtnern, die Merkel jetzt schon einen „Valentinsgruß“ überreichen wollen. Dann Staatsakt für den früheren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker im Berliner Dom. Und schließlich: Abflug zum Vierergipfel nach Minsk. Das Ende ist offen.

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