Konflikte:Fragen und Antworten: Kosovo als Vorbild für die Krim?

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Kiew/Moskau (dpa) - Die prorussischen Soldaten auf der Krim und das Referendum über den Anschluss der Halbinsel an Russland verurteilt der Westen als Völkerrechtsbruch. Kremlchef Wladimir Putin sieht das anders - und vergleicht die Abspaltung der Krim von der Ukraine mit dem Kosovo. Ist dieser Vergleich rechtens?

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Kiew/Moskau (dpa) - Die prorussischen Soldaten auf der Krim und das Referendum über den Anschluss der Halbinsel an Russland verurteilt der Westen als Völkerrechtsbruch. Kremlchef Wladimir Putin sieht das anders - und vergleicht die Abspaltung der Krim von der Ukraine mit dem Kosovo. Ist dieser Vergleich rechtens?

Putin sagt, die Vorgänge auf der Krim stünden „im Einklang mit den von den UN und den USA im Zusammenhang mit dem Kosovo gefassten Beschlüssen.“ Was meint er damit?

Das Kosovo erklärte sich 2008 wie nun die Krim für unabhängig. Das überwiegend von Albanern bewohnte Gebiet sagte sich damals von der Republik Serbien los. Zwei Jahre später bestätigte der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag, dass die Unabhängigkeitserklärung nicht gegen das Völkerrecht verstoße. Serbien hatte die Untersuchung beantragt. Damals kritisierte Russland das Gutachten als „juristisch nicht sauber und rein politisch“, der Status des Kosovo sorgt bis heute für Debatten.

Ist die Situation damals mit der auf der Krim heute vergleichbar?

In gewisser Hinsicht schon, sagt Balkan-Experte Franz-Lothar Altmann: „In beiden Fällen haben die existierenden Verfassungen die Abstimmung eigentlich nicht zugelassen.“ Auf diese Verfassungswidrigkeit beruft sich nun auch die amtierende ukrainische Regierung in Kiew. Der Weg hin zur Abspaltung sei aber ein anderer, erklärt der ehemalige Leiter der Forschungsgruppe „Westlicher Balkan“ bei der Stiftung für Wissenschaft und Politik (SWP). „Die russische Bevölkerung auf der Krim hat nicht unter Unterdrückung gelitten.“ Eine starke Bedrohung und Benachteiligung über eine längere Zeit, welche die Selbstbestimmung von Bevölkerungsgruppen rechtfertige, sei auf der Krim - im Gegensatz zur Lage im Kosovo - nicht gegeben.

In den Kosovo-Konflikt hat die Nato 1999 auch ohne ein UN-Mandat eingegriffen. Warum wird nun Putin für das Vorgehen auf der Krim kritisiert?

Laut UN-Charta darf ein Staat nur dann Gewalt anwenden, wenn er sich selbst verteidigt oder durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ermächtigt ist. Den Luftangriffen 1999 waren allerdings Berichte über Gräueltaten von Serben an Kosovo-Albanern vorausgegangen. Die internationale Gemeinschaft hatte die schockierenden Bilder des Massakers von Srebrenica vor Augen, wo bosnisch-serbische Truppen 1995 rund 8000 bosnische Muslime ermordet hatten. Sanktionen blieben wirkungslos.

Einer Resolution, in welcher der Sicherheitsrat das Ende der Kämpfe und die Aufnahme von Verhandlungen forderte, hatte auch Russland zugestimmt. Ein Mandat für die Intervention verhinderte der Kreml aber gemeinsam mit China. Die Nato griff dennoch ein, um einen weiteren Völkermord zu verhindern. Vergleichbare Gewalt drohte der russischen Bevölkerung auf der Krim zu keinem Zeitpunkt.

„Es gibt eine Entwicklung dahin, dass das Völkerrecht primär Menschen schützt und nicht Staaten“, sagt Michael Zürn, Direktor der Abteilung Global Governance am Wissenschaftszentrum Berlin. Eine derartige Veränderung der Interpretation sei natürlich immer umstritten. Insofern könne das Völkerrecht in solchen Phasen des Wandels beiden Seiten besonders leicht als Rechtfertigung dienen.

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