Kolumne:Potempaville

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Rechte Gewalt und Fantasien über "weiße Vorherrschaft" gab und gibt es nicht nur in den USA. Doch die Verharmlosung des Hasses aus dem Weißen Haus heraus weckt böse Erinnerungen.

Von Norbert Frei

(Foto: N/A)

Nein, es geht nicht darum, Trump mit Hitler zu vergleichen. Wohl aber geht es um Assoziationen, die sich unweigerlich einstellen angesichts der Bilder, die uns am vergangenen Wochenende aus Charlottesville erreichten, angesichts von Hakenkreuzen, Sieg-Heil-Gesten und fackeltragenden Antisemiten, angesichts von Terror, Rassenhass und Mord. Und es geht um die Frage, wie der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika auf eine solche Demonstration unverhüllt faschistischer Gewalt reagiert.

In den Parolen von Charlottesville erkennt man das Original - die alte Blut-und-Boden-Ideologie

In der Nacht zum 10. August 1932 war im oberschlesischen Potempa eine Horde bewaffneter SA-Männer und Angehöriger des polenfeindlichen "Selbstschutzes" in das Haus des Bergarbeiters Konrad Pietczuch eingedrungen, hatte den Gewerkschafter aus seinem Bett gezerrt und vor den Augen seiner Mutter und seines Bruders zu Tode getrampelt. Sechs der neun Angeklagten wurden zwölf Tage später in Beuthen von einem Sondergericht verurteilt, vier davon zum Tode "wegen Totschlags als Angreifer aus politischen Beweggründen". Die Formulierung nahm Bezug auf eine Notverordnung, die Reichskanzler Franz von Papen nur Stunden vor der Bluttat beim Reichspräsidenten erwirkt hatte. Sie sollte die bürgerkriegsähnlichen Zustände beenden, die Papen selbst begünstigt hatte, als er das im Frühjahr 1932 noch unter seinem Vorgänger Heinrich Brüning erlassene und vor allem im SPD-regierten Preußen durchgesetzte SA-Verbot aufgehoben und Aufmärsche in Parteiuniformen wieder erlaubt hatte. Daraufhin hatten sich Nationalsozialisten und Kommunisten in den Wochen vor der Reichstagswahl am 31. Juli fast täglich Schlachten geliefert, die insgesamt etwa hundert Tote und weit mehr als tausend Verletzte forderten. Als Hitler trotz seines triumphalen Wahlerfolgs, bei dem sich der Stimmenanteil der NSDAP auf mehr als 37 Prozent verdoppelte, nicht an die Macht gelangte, agierten die Braunhemden brutaler denn je. Der Mord von Potempa war ein Ausdruck ihrer Frustration.

Unter den schreckenerregenden Bildern aus Charlottesville sind etliche, deren Protagonisten die Gewaltästhetik der späten Weimarer Republik zielbewusst zu reinszenieren scheinen: hellhäutige Hünen mit Baseballschlägern auf einem Pick-up, schildbewehrte Schwarzuniformierte in Kampfhaltung, paramilitärische Straßenstreifen mit Maschinenpistolen und Munitionsgürteln; in Potempa und anderswo im Deutschland der Dreißigerjahre waren es Billardstöcke, Lastwagen und Karabiner. Die Fahnen sind oft gleich geblieben, ergänzt freilich um die Flagge der Konföderierten aus dem amerikanischen Bürgerkrieg, und auch in ihren Losungen halten sich die Herrschaften von der "White Supremacy" gern ans Blut-und Boden-Original: "Blood and soil" hieß es auf Transparenten beim provozierenden nächtlichen Fackelzug der "Alt Right" über den Campus der Universität von Virginia, der dem Ausbruch der Gewalt am Samstagvormittag vorausging. Passend dazu skandierten die Alt- und Neo-Nazis "You will not replace us".

Letzteres entspricht dem "Bevölkerungsaustausch", von dem die schein-smarten Identitären in Deutschland und Europa faseln. Hörte man in Charlottesville genauer hin - die Ereignisse sind auf Youtube tausendfach dokumentiert - klang das " You" bei den weißen Suprematisten häufig wie "J ews". (Natürlich ist die neue Verwendung des Begriffs eine postume Beleidigung des großen Künstlers Kasimir Malewitsch.) In den Juden sieht die Neue Rechte, nicht anders als die Alte, die verschwörerische Verkörperung alles dessen, was sie an der Moderne stört.

Vor diesem Hintergrund erinnert die Art und Weise, wie Donald Trump den Terror von Charlottesville und den Tod einer Gegendemonstrantin kommentierte, frappierend an das Taktieren der Rechten in der Weimarer Republik.

Im Braunen Haus, der Münchner Parteizentrale der NSDAP, gingen die Meinungen, wie der "Führer" auf das Urteil gegen die Potempa-Mörder reagieren sollte, offenbar auseinander; Hitler selbst, so erfuhr ein journalistischer Insider, habe von den Tätern abrücken wollen und sich erst auf Druck von SA-Chef Röhm zur Vorwärtsverteidigung entschlossen. Dann aber versicherte er die Verurteilten seiner "unbegrenzten Treue" - und ging mit Reichskanzler von Papen scharf ins Gericht: Der habe mit der Terrornotverordnung und den darauf gründenden Todesurteilen "seinen Namen mit dem Blut nationaler Kämpfer in die deutsche Geschichte eingezeichnet. Die Saat, die daraus aber aufgehen wird, soll man künftig nicht mehr durch Strafen beschwichtigen können. Der Kampf um das Leben unserer fünf Kameraden setzt nun ein."

Hitler musste nicht viel kämpfen; zwei Wochen nach dem Urteil verfügte Papen nach kurzer Beratung im Preußischen Staatsministerium - das war seit dem 20. Juli 1932 gleichgeschaltet - die Begnadigung der Verurteilten zu lebenslangem Zuchthaus mit dem Argument, den Tätern habe die Notverordnung zum Zeitpunkt ihrer Tat noch nicht bekannt sein können. Im März 1933 profitierten die fünf dann von der NS-Amnestie für Straftaten "im Kampf für die nationale Erhebung".

Wenn Trump nun in einem obszönen Hin und Her einerseits die Schönheit (!) der getöteten jungen Frau und die Tapferkeit ihrer Familie bewundert und andererseits immer wieder über die Schuld der Gegendemonstranten spricht (fraglos waren darunter einige Anhänger einer militanten Antifa, die sich inzwischen auch in den USA organisiert), wenn er unter Rassisten und Nazis die "guten Menschen" hervorhebt und deren vermeintlich edlen Motive verteidigt - dann verhält er sich ganz ähnlich wie die altrechten Eliten der Weimarer Zeit, die die Nationalsozialisten im Kampf gegen die Linke päppelten.

Nein, Trump ist nicht Hitler, und die Welle des Protests, die dem Präsidenten jetzt entgegenschlägt, zeigt: Die amerikanische Gesellschaft von heute ist eine andere als die deutsche von vor 85 Jahren. Aber wer sagt, dass Assoziationen sich erst einstellen dürfen, wenn die Schrecken sich gleichen?

© SZ vom 19.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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