Kolumne:Macht

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In den USA marschiert eine traumatisierte, wütende Jugend gegen die Waffenlobby. Sie zeigt, dass Demokratie Hoffnung braucht.

Von Jagoda Marinić

Die Kolumne der kroatisch-deutschen Schriftstellerin Jagoda Marinić, 40, erscheint alle vier Wochen samstags an dieser Stelle. (Foto: a)

Plötzlich ist sie da. Diese Generation, von der alle dachten, sie könne nur klicken und liken und sei durch die zahllosen Stunden am Display in ihrer Sozialkompetenz deformiert worden. Was hat man dieser Jugend nicht alles vorgeworfen? Alle Fortschrittsfeindlichkeit und Zukunftsangst ergoss sich über sie. Nach dem Massaker in Florida erhebt sich eine eloquente, entschiedene und verletzte Jugend, um das politische Establishment der USA herauszufordern. Ihre Agenda dominiert inzwischen die US-amerikanischen Nachrichten.

Das ist erst der Anfang. Am 24. März dieses Jahres planen die Schüler den größten Marsch auf Washington in der Geschichte der USA. Sie mobilisieren unter dem Hashtag #MarchForOurLives. Ihr Ziel? Verschärfte Waffengesetze. Manche wollen sogar auf der Straße bleiben, bis der Kongress ein neues Gesetz verabschiedet hat. Um die Entschlossenheit dieser Jugend zu verstehen, muss man sich vergegenwärtigen: Es ist die 18. Schießerei an einer Schule seit Jahresbeginn.

Lehrer werden auf den Ernstfall vorbereitet: Wenn ein bewaffneter Mörder vor ihnen steht, sollen sie die Kinder dazu auffordern, hektisch Bücher in die Luft zu werfen. Nicht, um das Leben der Kinder in diesem Raum zu retten, sondern um Sekunden für die anderen Kinder im Schulhaus zu gewinnen. "That's just not okay" - das ist einfach nicht in Ordnung -, ist das schlichte Mantra der Jugend gegen diese Brutalität. Ihre Utopie ist: Normalität.

Doch die wird es so schnell nicht geben. Die Regierung Trump hat die Budgets der Schulen massiv gekürzt. Problematische Schüler erhalten nicht mehr die Unterstützung, derer sie bedürfen. Junge Schüler sitzen im Unterricht und gehen im Kopf Fluchtwege ab, statt sich dem Stoff zu widmen oder von den jüngsten Küssen zu träumen. Diese Jugendlichen fürchten, dass Waffenbesitzer ihr Leben vernichten.

Die jungen Schüler erobern sich nun die Bürgerbewegung zurück

Im zweiten Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten ist seit 1791 das Recht eines jeden Bürgers verbrieft, Waffen zu besitzen oder bei sich zu führen. Die Waffenlobby ist eine der mächtigsten in den USA. Dieses Heiligtum anzugreifen, kommt einem Krieg gleich, dessen Schlachten tief in die Waffenlobby und ins politische Establishment hineinführen. Der Aufstand der Jungen hat Trump und die ihn fördernde Waffenlobby kalt erwischt. Schnell berief er einen runden Tisch ein und twitterte, die Sicherheit der Jugend habe oberste Priorität. Der Präsident weiß: Wenn diese junge Generation klug zu mobilisieren versteht, könnte sie ihm gefährlich werden. Die meisten jungen Amerikaner haben sich bei der jüngsten Wahl nicht registrieren lassen. Sollten sie bei der nächsten Wahl anders entscheiden, gäbe es bis zu fünf Millionen Neuwähler, die ihn den Sieg kosten könnten.

Nicht nur in den USA erinnert diese traumatisierte, wütende Jugend die angeschlagenen westlichen Demokratien an eine Tugend, ohne die Demokratie nicht funktionieren kann: Hoffnung. Ein Demokrat muss an die Veränderbarkeit der Zustände glauben, sonst ist er kein Demokrat. Obama wusste daraus politisches Kapital zu schlagen. Trump wollte vor allem die Hoffnung, die Obama in vielen geweckt hat, zerschlagen. Viel ist die Rede von der Krise der demokratischen Institutionen. Nicht minder groß ist jedoch die Krise des demokratischen Bürgers: Der Zorn war von der dumpfen Wut der neuen Rechten verdrängt worden. Die jungen Schüler erobern sich nun die Bürgerbewegung zurück. Über sie sagt Joan Baez, Ikone der Achtundsechziger, diese Woche: "Die Fackel wurde weitergegeben."

Durch die USA geht ein Ruck, den Frauen dort mit ihrer "Me Too"-Kampagne anstießen

Die Jugend ist bereit für den Kampf gegen Goliath. Ihre Kraft kommt nicht aus dem Nichts. Sie hat Vorbilder unter den Erwachsenen. Die Clooneys spenden bereits eine halbe Million, weil Eloquenz und Entschlossenheit dieser Schüler sie beeindrucken. Auch Oprah Winfrey, die einflussreichste Frau der US-Medienindustrie, vergleicht die Proteste mit den Achtundsechzigern.

Die Jugend wurde eben erst Zeugin, als durch die USA ein Ruck ging, den die Frauen dort mit ihrer "Me Too"-Kampagne verursacht haben. Das "Me Too" des angelsächsischen Raums ist nicht vergleichbar mit dem verdrucksten deutschen Meta-"Me Too": Über alles wird hierzulande geredet und geschrieben, doch nichts wird ausgesprochen. Unter #MosqueMeToo berichten Frauen weltweit von Übergriffen auf Wallfahrten oder in Moscheen, weit progressiver, als Frauen das hierzulande getan haben. In Deutschland wird das Anprangern der Tat als Verharren in der Opferrolle interpretiert.

Die Jugend in den USA hingegen hat miterlebt, dass Opfer, die ihre Stimme erheben und Missstände ans Licht zerren, nicht in der Opferrolle gefangen sind, sondern, im Gegenteil, öffentlich als mutige Heldinnen gefeiert werden. Die Mittel, die diese Jugend wählt, oder Hollywood, mögen auf manche plakativ wirken. Doch Protest bemisst sich auch an der Wirkung, die er erzielt. Während im Rahmen von "Me Too" in den USA und Großbritannien Millionen für die Opfer gesammelt werden, richtet man in Deutschland den nächsten staatlichen Hilfstopf in Höhe von 100 000 Euro ein. Das wird gerade einmal für einen neuen Staatsdiener reichen, vermutlich ohne Unterbau.

Die politisierte Jugend kommt zur rechten Zeit. Ihr Mut verleiht dem Westen wieder jene Strahlkraft, die er hatte, als der Rest der Welt ihm noch glaubte: Alle Macht geht vom Volke aus.

© SZ vom 24.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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