Kohleausstieg:Historische Zäsur

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Für das Klima ist dieser Kompromiss nicht wirklich gut - aber wegen des Widerstands der betroffenen Regionen war wohl nicht mehr möglich. Nun müssen die Beschränkungen für Solar- und Windenergie fallen.

Von Jan Heidtmann

Ich mach' mir die Welt, wie sie mir gefällt" - diese Liedzeile ist das wohl langlebigste Vermächtnis von Pippi Langstrumpf. Und vielleicht ist es ja kein Wunder, dass auch Greta Thunberg aus Schweden stammt. Jedenfalls: Wenn es so läuft wie jetzt beschlossen, macht Deutschland einen großen Schritt hin zu dieser Welt, wie sie gefällt: Eine der größten Industrienationen wird bald keine Kohle mehr verfeuern und zum Zeitpunkt des Ausstiegs seine Energie auch längst nicht mehr aus Atomkraft gewinnen. Das ist eine historische Zäsur, die Bundesrepublik stünde damit als Vorreiter da.

Natürlich hätte man die Einigung zum Kohleausstieg auch früher haben können, die Empfehlung der Kohlekommission liegt seit einem Jahr vor. Der nun ausgehandelte Kompromiss zwischen der Bundesregierung und den Ministerpräsidenten der Kohleländer sieht dafür einen sehr konkreten Plan zur Stilllegung der Kraftwerke vor. Er beginnt noch in diesem Jahr, am 31. Dezember soll im Rheinland eine der ältesten Dreckschleudern abgeschaltet werden, bis Ende 2022 werden es bereits acht Kraftwerke sein. "Je älter, desto früher" lautet das Prinzip dieses Kündigungsschreibens. Dass mit Datteln 4 dennoch ein zusätzliches Kraftwerk den Betrieb aufnimmt, sieht zwar nicht gut aus. Es ist jedoch besser, als alte Kraftwerke länger am Netz zu lassen.

Selbst der Hambacher Forst findet in diesem Kompromiss seinen Platz - er kann stehen bleiben. Das ist eher Symbolpolitik, sein Erhalt wird viel Geld kosten, und statt des Waldes hätten besser die Dörfer rund um den Tagebau Garzweiler gerettet werden sollen. Aber es ist auch ein Zugeständnis an den hartnäckigen Widerstand gegen die Abholzung, an die Aktivisten und an den Protest der Bürger, der sich dort zumindest gelohnt hat.

Dieser Kompromiss hat jedoch einen hohen Preis. Angesichts der Brände in Australien, angesichts der stetig steigenden Temperaturen geht der Ausstieg nicht schnell genug. Deutschland ist Braunkohleland Nummer eins, und jeder Tag, an dem die Kraftwerke noch laufen, schadet der Umwelt und befeuert den Klimawandel. Beruhigend kann da höchstens sein: Je mehr Kraftwerke stillgelegt werden, desto mehr ist Deutschland auf Energie aus anderen Quellen angewiesen. Der Kohleausstieg wird dazu führen müssen, dass die Beschränkungen für Solar- und Windenergie aufgehoben werden - vor allem muss die geplante Abstandsregelung für Windräder vom Tisch.

Dass die Einigung für den Klimaschutz nicht wirklich gut, aber vermutlich die einzig machbare ist, liegt an Kohleregionen wie der Lausitz in Brandenburg und Sachsen. Sie sind die Angstregionen der Regierenden. Arbeit und Leben dort hängen zu einem Großteil immer noch am Bergbau; die Leute sind die Versprechungen leid und wählen in großer Zahl AfD. Wie für die Beschäftigten in den Steinkohlerevieren wird es deshalb auch für die Braunkohlekumpel ein sogenanntes Anpassungsgeld geben. Es soll bis 2043 gezahlt werden. Dazu kommen Gelder in Höhe von 40 Milliarden Euro, mit denen die betroffenen Regionen aus ihrer Abhängigkeit von der Kohle geholt werden sollen.

Das teils erpresserische Lamento der Menschen in der Lausitz, man werde wieder einmal alleingelassen: Es sticht mit der Einigung zum Kohleausstieg nicht mehr. Jeder Sozialplan eines Großunternehmens nimmt sich gegen diese nun verbindlich zugesagten Hilfen mickrig aus.

© SZ vom 17.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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