Kohle:Hier regiert die SPD

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Deutschland klagt nicht gegen die EU-Auflagen für Kohlekraftwerke - dies hat die SPD-Umweltministerin Hendricks entschieden.

Von Markus Balser

Welche Zukunft die Kohle in Deutschland hat? Um kaum ein anderes Thema ringen die Parteispitzen bei den Sondierungen für eine Jamaika-Koalition so hart wie um die Energiepolitik. Wie schon bei der Atomkraft wollen die Grünen nun den Kohleausstieg durchsetzen und klimaschädliche Kohlekraftwerke möglichst bald stilllegen. Teile von Union und FDP sind dagegen. Sie fürchten um Jobs in den Braunkohle-Revieren in Nordrhein-Westfalen, Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt.

In der Nacht zum Sonntag lief die Frist fürs Einreichen einer Klage gegen die EU aus

Eine wichtige Entscheidung über die Zukunft der Kohle fiel dann am Wochenende allerdings ganz ohne das Zutun der möglichen Koalitionäre. Streng genommen fiel sie sogar, ohne dass in Berlin überhaupt jemand etwas unternahm. Denn das Bundesumweltministerium ließ schlicht eine wichtige Frist verstreichen. Das Ministerium, das noch von der SPD-Politikerin Barbara Hendricks geleitet wird, werde keine Klage gegen die von der EU beschlossenen strengeren Umweltauflagen für Kohlekraftwerke einreichen, erklärte ein Sprecher - die Möglichkeit hätte es noch bis zur Nacht auf Sonntag gegeben. Damit aber gibt das Verfassungsorgan Bundesregierung endgültig seinen Widerstand gegen strengere Grenzwerte für Quecksilber, Stickoxid und Feinstaub auf.

Die neuen Umweltauflagen sollen nun von 2021 an gelten. Es geht dabei vor allem um den Gesundheitsschutz der Europäer. Doch die Vorgaben dürften sich auch auf die Klimapolitik auswirken. Denn laut einer Studie des amerikanischen Institute for Energy Economics and Financial Analysis (IEEFA) könnten infolge der strengeren Grenzwerte viele Kohlekraftwerke abgeschaltet werden, weil eine Nachrüstung zu teuer würde. Allerdings bleibt für die Branche noch eine Hintertür. Die EU-Regeln müssen noch in deutsches Recht umgesetzt werden. Stromkonzerne hoffen offenbar darauf, dass die Ziele dabei abgeschwächt werden könnten. So erklärte RWE, man erwarte, dass die Politik bei der Umsetzung der EU-Vorgaben in nationales Recht "die technische und wirtschaftliche Umsetzbarkeit im Auge behält wie auch die Versorgungssicherheit".

Der neue Kurs aus Berlin kommt auch für die Konzerne überraschend. Bislang hatte Deutschland gemeinsam mit Polen und Tschechien gegen die neuen Grenzwerte gestimmt, war aber überstimmt worden. Mitte August hatten vier Braunkohle-Bundesländer die Bundesregierung dazu aufgefordert, "alle politischen und rechtlichen Mittel auszuschöpfen", um die Neuregelung noch zu verhindern und gegen die EU-Kommission zu klagen. Die Länder sorgten sich um ihre Industriestandorte. Nun votiert die Regierung dagegen. Selbst Umweltbehörden sehen diesen Kurs mit gemischten Gefühlen. Das Umweltbundesamt hatte sich Anfang des Jahres gegen strengere Grenzwerte und Auflagen ausgesprochen. Die Behörde hatte Angst, dass eine teure Nachrüstung letztlich das Leben der ungeliebten Kohlekraftwerke verlängern könnte - schließlich müssen sich die teuren Investitionen ja auch irgendwie rechnen. Bei der Sondierung schwelt der Streit über die Zukunft der Kohle in Deutschland derweil weiter. Von dem fixen Ausstiegsjahr 2030 sind die Grünen nach heftigem Widerstand aus der Union bereits abgerückt. Der Grünen-Politiker Jürgen Trittin nannte die Abschaltung der Kohlekraftwerke dennoch am Wochenende ein wesentliches grünes Ziel. Wenn Angela Merkel mit den Stimmen seiner Partei zur Kanzlerin gewählt werden wolle, müsse sie sich bewegen, sagte der Ex-Umweltminister am Samstag bei einer Landesdelegiertenkonferenz seiner Partei in Hameln. Statt eines fixen Ausstiegsjahres sind nun feste Einsparziele bei den Emissionen im Gespräch. Noch allerdings sei offen, wie genau die berechnet werden sollten, hieß es am Sonntag in Verhandlungskreisen. Klar sei aber schon jetzt: Mehrere Kraftwerke müssten vom Netz.

© SZ vom 13.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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