Köln:Noch emmer joot jejange

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Über Jahrzehnte dominierten Clans die Stadt am Rhein: die Adenauers, Oppenheims oder DuMonts. Doch deren Zeit geht dem Ende zu. Jetzt kann sich die Politik nicht länger hinter ihnen verstecken.

Von Bernd Dörries

Das Problem ist vielleicht, dass heute keiner mehr Hüte trägt. Konrad Adenauer hatte oft einen hohen aus Filz auf dem Kopf, der sich Homburger nannte. Als Oberbürgermeister lief er damit durch Köln und schaute sich an, wie aus seinen Entscheidungen Realität wurde, die Stadt einen Grüngürtel bekam und eine neue Universität. Adenauer hatte den Hut auf in der Stadt. Fast hundert Jahre später diskutieren seine Nachfolger an der Stadtspitze, wer von ihnen denn den "Oberverantwortungshut" trage.

Die Wortschöpfung stammt von der aktuellen Kulturdezernentin, die gleich hinterherschob, dass der Oberverantwortungshut sicherlich nicht auf ihrem Kopf zu finden sei. Köln versucht in diesen Tagen herauszufinden, wer denn verantwortlich dafür ist, dass die Wiedereröffnung von Oper und Schauspiel um mindestens ein Jahr verschoben werden muss. Das ist schon mit Großprojekten anderswo passiert. Kölner Besonderheit ist jedoch, dass niemand daran gedacht hat, einen Plan B zu entwerfen und die Oper nun ohne Spielstätte dasteht. Eine Weltneuheit, für die niemand die Verantwortung tragen will.

Jeder zeigt auf den anderen - und fährt dann in Urlaub

An der Spitze der Stadt zeigt einer auf den anderen und fährt dann in Urlaub. Organigramme werden herumgereicht, die später von dem, der dort an der Spitze steht - also den Oberverantwortungshut trägt - als plumpe Fälschung bezeichnet werden. Am Ende ist klar, dass die Stadt keine Verwaltung besitzt, die den Anforderungen der Zeit gerecht wird, es herrscht organisierte Verantwortungslosigkeit.

Sie ist die Kehrseite der großartigen Kölner Anarchie, dem "Et hätt noch emmer joot jejange". Der Kölner ist zu Recht verliebt in seine Stadt. Aber was ihm manchmal ein bisschen fehlt, ist die Liebe zum Detail. Der Dom war lange Zeit eines der größten Pissoirs der Republik, auf der Rückseite fraß sich der Urin derart ins Mauerwerk, dass einem die Tränen kamen. Den Kölnern war das lange egal, jetzt wird endlich renoviert.

Die Kölner wollen, dass Köln so bleibt, wie es ist. In Zeiten, in denen alle immer nur nach Wachstum streben, ist das zutiefst sympathisch. Aber auch damit alles beim Altem bleibt, muss man etwas dafür tun. In Köln bröckelt die Infrastruktur so vor sich hin, die Rheinbrücken sind für Lkws nicht mehr befahrbar, die Fertigstellung neuer Schulen hat sich derzeit um gleich drei Jahre verzögert. Es gibt dafür immer individuelle Gründe. Letztlich liegt die schleichende Misere aber vor allem daran, dass es in der Verwaltung und an der Spitze der Stadt niemanden gibt, der den Oberverantwortungshut tragen will. Die Stadt wird unter Wert regiert.

Köln war nie Residenzstadt. Aber in den Jahren nach Adenauer hat sich eine Art paternalistisches System entwickelt, in dem ein kleiner Kreis über die große Stadt bestimmte. Jahrzehntelang wurden die Posten zwischen CDU und SPD aufgeteilt, es galt das Versorgungs-, nicht das Leistungsprinzip. Diese Mentalität herrscht in der Verwaltung bis heute, Entscheidungen werden nicht von oben nach unten delegiert, sondern umgekehrt, weil niemand es gewohnt ist zu entscheiden, weil niemand Verantwortung übernehmen will. So passiert oft einfach nichts.

All das soll nun besser werden, sagen die Kandidaten für die OB-Wahl im September, sie wollen die "Kultur der Verantwortungslosigkeit" beenden. Es ist vielleicht gar kein schlechter Zeitpunkt für einen solchen Wandel, weil sich derzeit etwas verändert in der Stadt. Die Zeit der großen Clans in Köln, sie geht dem Ende zu. Über Jahrhunderte bestimmten die Oppenheims und die DuMonts die Geschicke der Stadt mit.

Die Oppenheims halfen schon mit Geld, als vor Jahrhunderten der Weiterbau des Doms stockte. Die DuMonts sind in zwölfter Generationen im Verlagsgeschäft. Alfred Neven DuMont ließ gerne durch seine Blätter verkünden, was seine Wünsche für die Stadt seien, nicht selten wurden sie erfüllt. Überall traf man auf Mitglieder der Clans, von der IHK bis zum Karneval. Nun ist die Bank Oppenheim am Boden, einige ihrer früheren Chefs wurden gerade wegen Untreue verurteilt. Kurz zuvor starb Alfred Neven DuMont. Die Clans haben Gutes getan für die Stadt, sie haben aber auch zu einem Gefühl beigetragen, dass da immer jemand ist, der den Oberverantwortungshut trägt. Dahinter konnte sich die Politik verstecken.

Es wäre falsch zu glauben, dass jetzt alles ganz schnell besser wird in Köln. Beim F.C., der großen Liebe dieser Stadt, haben sie immer auf den Messias gehofft, auf Poldi oder Christoph Daum. Dann sind sie doch wieder abgestiegen. Derzeit läuft es ganz gut beim Klub, weil man nicht auf den Heilsbringer hofft, der schon alles regeln wird, sondern weil alle Verantwortung übernehmen. In der Politik der Stadt wäre das ein großer Fortschritt.

© SZ vom 10.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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