Erderwärmung in den Städten:Der Klimawandel ist nicht von oben zu stoppen

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Ein Flugzeug über der Frankfurter Skyline. (Foto: dpa)

Die Welt 2050 - Berlin wird zu Madrid, Madrid zu Marrakesch. Wieso der Klimawandel in den Städten bekämpft werden muss.

Gastbeitrag von Daniel Dettling

Der Sommer 2018 war so lang und so warm, dass die Gesellschaft für deutsche Sprache "Heißzeit" zum Wort des Jahres wählte. In diesem Jahr dürfte "Klimanotstand" nicht die schlechtesten Aussichten auf den Titel haben. Denn eine Stadt nach der anderen, ein Staat nach dem anderen, rufen den Klimanotstand aus. Mal ist das symbolisch zu verstehen, als offizielle Anerkennung eines nicht zu leugnenden Weltproblems - und mal sehr konkret, verbunden mit klaren Maßnahmen.

Als erstes Land in Europa hat Frankreich während der Hitzewelle im Juni den Klimanotstand ausgerufen. Das österreichische Vorarlberg folgte wenig später. Auch in Deutschland haben mehr als 40 Städte und Gemeinden, darunter Konstanz, Potsdam, Bochum und Köln, im Laufe dieses Sommers den Notstand erklärt. "Fridays for Future" fordert gar einen bundesweiten Klimanotstand.

Doch muss man wirklich einen Notstand verkünden, um der Klimakrise zu begegnen? Eine Klimademokratie ist die bessere Antwort - eine zivilgesellschaftliche und lokale Bewegung von unten, die bei den Bürgerinnen und Bürgern, den Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern wurzelt. "Wenn Bürgermeister die Welt regierten, wären viele globale Probleme längst gelöst", schrieb der 2017 verstorbene US-amerikanische Professor für Zivilgesellschaft Benjamin Barber.

Denn die Folgen des Klimawandels werden in den kommenden Jahren vor allem die Städte zur Anpassung ihrer Politik zwingen. Und das nicht nur im Süden der Welt, nicht nur in den Entwicklungs- und Schwellenländern. Eine aktuelle Studie der ETH Zürich prognostiziert für das Jahr 2050 einen Anstieg der durchschnittlichen Temperaturen in Europas Städten um bis zu vier Grad im Sommer und um fünf Grad im Winter. Fast 80 Prozent der 520 größten Städte weltweit werden demzufolge einen extremen Klimawandel erleben. Berlin wird zu Madrid, London zu Barcelona, Wien zu Istanbul und Madrid zu Marrakesch. Die Studie geht davon aus, dass in etwa einem Fünftel der globalen Megastädte ein Klima herrschen wird, wie es bisher in keiner Großstadt der Fall ist. Immer mehr Menschen leben in Städten und urbanen Ballungsgebieten - bald werden es 80 Prozent der Weltbevölkerung sein.

Vor allem Megastädte mit mehr als zehn Millionen Einwohnern wie Rio de Janeiro oder New York dürften sich bedroht fühlen. 90 Prozent der Städte weltweit liegen an einem Gewässer. Zudem kommen etwa 60 Prozent der CO₂-Emissionen aus den Städten selbst, vor allem durch Verkehr und Gebäudeheizung beziehungsweise -kühlung; ihre Infrastrukturen verbrauchen 70 Prozent der weltweiten Energie. Wer in der Stadt lebt, vielleicht sogar am Meer, vielleicht sogar inmitten des ungezügelten Verkehrs, dürfte motiviert sein, dem globalen Problem lokal zu begegnen. Allein schon, weil man schneller Opfer der Erderwärmung werden könnte.

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Während die Klimapolitik auf nationaler Ebene meist ein Thema unter vielen ist, spielt sie sich in den Städten vor der eigenen Haustür ab. Die meisten bekennen sich weiterhin zu den Klimazielen von Paris. Seit dem Ausstieg Donald Trumps aus dem Pariser Klimaabkommen betreiben gar nicht mal so wenige ihre eigene Klimapolitik. So gründeten Kalifornien, New York und Washington eine eigene Klima-Allianz, der inzwischen 13 Bundesstaaten angehören.

In Europa lässt sich Ähnliches beobachten: Die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister von London, Paris, Kopenhagen, Barcelona und Mailand haben angekündigt, bis 2030 weitgehend emissionsfrei zu agieren und sich dazu verpflichtet, von 2025 an nur noch Elektrobusse zu kaufen. Diese beginnende Wende geht mancherorts auch mit einer steigenden urbanen Lebensqualität einher. So hat Amsterdam den Autoverkehr in den vergangenen Jahren reduziert. Wien gilt seit Jahren als besonders lebenswerte Stadt, vor allem bei den Themen Wohnen und Mobilität ist Wien längst ein Vorbild für andere Metropolen. Vom kommenden Jahr an können die Wiener per App Punkte sammeln, wenn sie zu Fuß gehen, mit dem Rad fahren oder die Straßenbahn nutzen. Einlösen können sie die Punkte dann in Kultureinrichtungen.

Lokal wie global betrachtet müssen die Städte jedoch grüner werden. Trends wie "Urban and Vertical Farming", also die Begrünung von Brachflächen und Hausdächern, könnten hier den Weg weisen. So wird die Landwirtschaft in Großstädten wie Berlin, Köln und München zur Stadtwirtschaft und trägt zur Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung bei. Gleichzeitig schafft mehr Landwirtschaft in den Städten ein besseres Klima und mehr Artenvielfalt.

Eine Revolution von oben, wie sie der Club of Rome fordert, braucht es zur Lösung der Klimafrage nicht. Es braucht die Klimademokratie. So hat der Stadtrat von Zürich jüngst entschieden, auf ein symbolisches Ausrufen des Klimanotstands zu verzichten und stattdessen bei der Abwägung von Interessen dem Klima eine Priorität einzuräumen. Zudem sollen beschlossene Maßnahmen schneller umgesetzt werden. Zürich setzt dabei auf eine breite Beteiligung der Bürger.

Nationale Politik wird dadurch nicht überflüssig: Es braucht Anreize, damit sich das Engagement der Städte und ihrer Bürger und Unternehmen auch auszahlt. Es braucht einen Wettbewerb der besten Ideen, das Experimentieren und die Entfesselung der kollektiven Intelligenz.

Was es nicht braucht, sind Verzicht und Verbote. Sondern stattdessen Ideen und Innovationen. Wenn sehr wenige Menschen sehr viel entscheiden, sind beide bedroht: Demokratie und Klima. Der grüne Fortschritt braucht mehr - und nicht weniger - Selbstbestimmung und Beteiligung, Demokratie und Wettbewerb.

Daniel Dettling, 47, ist Zukunftsforscher und leitet das Berliner Büro des Zukunftsinstituts.

In einer früheren Version dieses Gastbeitrags hieß es, dass laut einer Studie der Fraunhofer Gesellschaft auf 3,6 Quadratmetern genügend Lebensmittel angebaut werden könnten, um einen Stadtbewohner zu versorgen. Das Fraunhofer IAO (Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation) nennt in seiner Studie "Urban Farming in the City of Tomorrow" jedoch diesbezüglich keine Zahlen. Daher haben wir besagte Passage des Textes entfernt.

© SZ vom 23.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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