Es ist ein gängiges Vorurteil: Anstatt ihre Kinder zu fördern, setzen manche Eltern das Kindergeld lieber um in Zigaretten, Alkohol und Flachbildschirme, groß wie die Zimmerwände ihrer Sozialwohnungen. Doch das Gegenteil ist der Fall: In der Regel werden staatliche Direktzahlungen nicht zweckentfremdet. Eltern investieren diese nachweislich in größere Wohnungen, in die Hobbys, die Bildung und die bessere Betreuung ihrer Kinder.
Das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim hat im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung den Weg des Geldes in die Familien verfolgt. Untersucht wurde die Verwendung von zwei staatlichen Leistungen für Familien im Zeitraum von 1984 bis 2016. Dies waren das Kindergeld sowie das Landeserziehungsgeld in verschiedenen Bundesländern. Die Ergebnisse räumen mit einigen Vorurteilen auf. Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann-Stiftung sagt: "Eltern sollten nicht unter Generalverdacht gestellt werden. Der Staat sollte den Eltern vertrauen, Entmündigung sollte nicht zur Regel werden."
Laut der Studie reduzieren Eltern aufgrund des Kindergeldes nicht ihre Arbeitszeit. Messbar ist, dass je 100 Euro Kindergeld die Wahrscheinlichkeit um fünf Prozentpunkte steigt, dass das Kind eine Kindertagesstätte besucht. Nach dem Jahr 2000 beträgt der Anstieg sogar zehn Prozent. Dies ist aber wohl vor allem darauf zurückzuführen, dass es seitdem viel mehr Kitas und Ganztagesschulen gibt als in den Jahren zuvor. Sehr detailliert weisen die Forscher nach, wofür die Eltern das Geld ausgegeben haben: Kinder gehen um acht Prozentpunkte häufiger zum Sport. Um sieben Prozentpunkte häufiger bekommen Kinder unter sechs Jahren Musikunterricht, Kinder zwischen sechs und 16 Jahren erhalten sogar um elf Prozentpunkte häufiger Flöten- oder Klavierunterricht.
Als Problem bewerten die ZEW-Forscher das sogenannte Bildungs- und Teilhabepaket der Bundesregierung. Geschätzt 30 Prozent dieser zweckgebundenen Sach- und Geldleistungen für bedürftige Familien wird offenbar für den Verwaltungsaufwand verbraucht. Dazu kommt, dass viele Menschen, die das Paket eigentlich benötigten, es gar nicht erst beantragen. Die Bürokratie ist hier zu unübersichtlich. "Direkte finanzielle Leistungen für Familien sind darum sinnvoller als aufwendig zu beantragende Sachleistungen", sagt Jörg Dräger.
Auch das Deutsche Kinderhilfswerk fordert, das System der Familienförderung zu entbürokratisieren. Dabei solle aber nicht nur an kleinen "Reformschräubchen" gedreht werden, sagt Geschäftsführer Holger Hofmann. Nötig sei eine bedarfsgerechte Kindergrundsicherung, die das Existenzminimum von Kindern "unabhängig von den finanziellen Möglichkeiten der Familie und dem bisherigen Unterstützungssystem gewährleistet". Das "Bündnis Kindergrundsicherung" hat ausgerechnet, dass ein Kind 619 Euro im Monat für ein gutes Aufwachsen benötigt. Vom "Flickenteppich" staatlicher Leistungen komme da zu wenig an.