Kinderarmut:Wenn die Klassenfahrt flachfällt 

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Bis zu zwei Milliionen Kinder in Deutschland sind armutsgefährdet. Ihnen fehlen regelmäßige Mahlzeiten, Schulausflüge - oder ein zweites Paar Schuhe. (Foto: Patrick Pleul/dpa)

Eine Studie zeigt, dass die Corona-Pandemie die Kinderarmut in Deutschland verschärfen könnte.

Von Edeltraud Rattenhuber, München

Sie schlagen Einladungen zum Geburtstag aus, weil sie sich kein Geschenk leisten können, melden sich bei Ausflügen krank, weil sie die Tickets nicht zahlen können, und werden von den Klassenkameraden wegen uncooler Kleidung gehänselt: Kinderarmut zeigt sich in vielerlei Aspekten, und 2,8 Millionen Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren sind in Deutschland davon betroffen. Das ist jedes fünfte Kind. Ein zu hohes Niveau, kritisiert die Bertelsmann-Stiftung in einer neuen Analyse, die vor allem bemängelt, dass sich in den vergangenen Jahren trotz guter wirtschaftlicher Entwicklung kaum etwas geändert hat. Wegen der Corona-Krise rechnet die Stiftung zudem "mit einem deutlichen Anstieg der Armutszahlen".

Wer gilt in Deutschland überhaupt als arm? Einmal jene Kinder, die in einem Haushalt leben, der Hartz-IV-Leistungen bezieht. Das ist die sozialstaatlich definierte Armutsgrenze. Die Stiftung operiert aber auch mit der relativen Einkommensarmut. Demnach gelten Kinder als armutsgefährdet, deren Eltern weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung haben. Die Forscher kombinierten diese beiden Definitionen und kamen auf das Ergebnis, dass 21,3 Prozent aller Kinder in Deutschland sich in einer "Armutslage" befänden - "mit erheblichen Folgen für das Aufwachsen, das Wohlbefinden, die Bildung und die Zukunftschancen der Kinder". Die Stiftung kritisiert dies als "ungelöstes strukturelles Problem in Deutschland" und vergleicht Kinderarmut mit einer "unbearbeiteten Großbaustelle".

Was die Grundsicherung, also Hartz-IV, betreffe, habe es im bundesweiten Durchschnitt allerdings Verbesserungen gegeben, vor allem in Ostdeutschland. 2014 waren dort noch 22,1 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Hartz IV, bis 2019 sank die Zahl auf 16,9 Prozent. In Westdeutschland dagegen scheint die Politik der Kinderarmut nicht beikommen zu können - oder zu wollen. Dort stagniert die Hartz-IV-Quote bei Kindern bei 13 Prozent. Besonders was Mobilität, Freizeit und soziale Teilhabe betreffe, seien Familien im Hartz-IV-Bezug "teils erheblich unterversorgt", so die Studie, die sich unter anderem auf aktuelle Auswertungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung bezieht.

Die Corona-Krise trifft Eltern, die es ohnehin schwer haben, besonders hart - und damit auch ihre Kinder. Wer in Teilzeit oder als Minijobber arbeite, gehöre zu jenen Gruppen, die als Erste ihre Jobs verlören oder nur vergleichsweise wenig beziehungsweise gar kein Kurzarbeitergeld erhielten, so die Studie. Zudem fielen während der Corona-Krise außerhäusliche Unterstützungsangebote weg - die Folgen für die bedürftigsten Kinder und Jugendlichen wogen schwer. Viele bekamen beispielsweise kein kostenloses Mittagessen mehr. "Und auch beim Homeschooling waren Kinder aus armen Verhältnissen benachteiligt, verfügen sie doch seltener über die notwendige technische Ausstattung und haben zum Teil auch keine Rückzugsräume zum ungestörten Lernen", heißt es in der Analyse. 24 Prozent der Kinder im Grundsicherungsbezug hätten keinen internetfähigen PC im Haushalt, 13 Prozent keinen ruhigen Platz zum Lernen. Und fast die Hälfte der Kinder wohne in beengten räumlichen Verhältnissen.

Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann-Stiftung, fordert daher die Politik auf, jetzt sozial- und familienpolitische Konzepte zu erarbeiten, wie sie Sozialverbände bereits vorgeschlagen haben. Zum Beispiel ein Teilhabegeld oder eine Grundsicherung für Kinder.

© SZ vom 23.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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