Kenia:Wenn nur einer zur Wahl steht

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Die politische Krise in dem ostafrikanischen Land verschärft sich nochmals: Der langjährige Oppositionsführer und Gegenspieler von Präsident Uhuru Kenyatta will die Abstimmung boykottieren. Das stellt alles infrage.

Von Bernd Dörries, Nairobi

Protest mit Hund: Anhänger der kenianischen Opposition sind in Nairobi mit der Polizei aneinandergeraten. Die Sicherheitskräfte sollen dabei auch mit scharfer Munition geschossen haben. (Foto: Thomas Mukoya/Reuters)

Das Thema des Vortrages könnte kaum besser gewählt sein. Vor Wochen schon lud das Londoner Chatham House, eine Forschungsinstitution für Internationale Beziehungen, zu einer kleinen Diskussionsrunde ein: "Der nächste Test für Kenia: Demokratie, Wahlen und Rechtsstaatlichkeit." Bekanntester Teilnehmer der Runde ist der kenianische Oppositionsführer Raila Odinga, der am Dienstag sein Möglichstes getan hat, um Kenia vor den größten Test zu stellen, den es seit seiner Unabhängigkeit 1963 erlebt hat.

Odinga, der Chef des Oppositionsbündnisses Nasa, kündigte an, bei den Wahlen am 26. Oktober nicht anzutreten. "Alles deutet darauf hin, dass diese Wahlen schlimmer werden als die zuvor", sagte Odinga. Kenia hatte bereits am 8. August den Amtsinhaber Uhuru Kenyatta mit 54 Prozent im Amt bestätigt. Der unterlegene Odinga hatte anschließend von Betrug und Wahlfälschung gesprochen und war vor das Höchste Gericht gezogen, das ihm recht gab und Neuwahlen für den 26. Oktober festsetzte.

Das Urteil wurde weltweit als großer Sieg für die Demokratie gefeiert, Odinga aber hatte in den vergangenen Wochen immer wieder darauf beharrt, dass freie und faire Wahlen nur mit einer reformierten Wahlbehörde (IEBC) möglich seien. Das Oberste Gericht hatte die IEBC zwar dafür kritisiert, keinen verfassungsgemäßen Urnengang organisiert zu haben, machte aber keine Vorgaben für personellen Konsequenzen.

Und so wurden wieder diejenigen damit beauftragt, eine Wahl zu organisieren, die dabei zuvor kläglich versagt hatten. "Es sind immer noch dieselben Mechanismen am Werk", sagte Odinga der Süddeutschen Zeitung. Er forderte den Austausch des Führungspersonals und die Verträge mit den Herstellern der elektronischen Wahlmaschinen und der Stimmzettel neu auszuschreiben. Bei beiden hatte es grobe Unregelmäßigkeiten gegeben.

Wie es in Kenia nun weitergeht, ist ungewiss. Während Odingas Gegner seit Wochen mutmaßen, der Oppositionschef habe den Mut verloren und suche nach einer Ausrede für seinen Rückzug, beharren die Unterstützer Odingas darauf, dass es ihrem Anführer nur um Demokratie und das Wohl aller Kenianer gehe.

Der Oppositionsführer reist nach London, sein Vize nach Hawaii. Zurück bleibt ein ratloses Land

Letztlich ist der Rückzug von Odinga wohl vor allem ein Versuch, mehr Zeit zu gewinnen. Kenia hat ein kompliziertes und nicht immer nachvollziehbares Wahlrecht. Nach einer Entscheidung des Verfassungsgerichts von 2013 ist es aber so, dass es Neuwahlen geben muss, wenn sich ein Kandidat vorzeitig aus dem Verfahren zurück zieht. Das würde bedeuten, dass es nun die Neuwahl der Neuwahlen geben muss, innerhalb von 60 Tagen. Odinga würde damit Zeit gewinnen, um mehr Geld einzusammeln für seine ins Stocken geratene Kampagne und um den Druck zu erhöhen, die Wahlkommission doch noch auszuwechseln.

"Die Kenianer sind müde und wollen, dass wieder Normalität eintritt", sagte der amtierende Präsident Uhuru Kenyatta. Normalität ist für ihn, dass er weiter Präsident bleibt. Seine Regierungskoalition brachte gleich am Mittwoch ein Gesetz ins Parlament ein, das ihn zum automatischen Sieger macht, wenn er bei der Wahl keinen Gegenkandidaten bekommt. Aber selbst seine Regierung weiß, dass Wahlen ohne den Mitbewerber Odinga nicht glaubwürdig sind und von der internationalen Gemeinschaft wohl auch gar nicht anerkannt werden.

"Man kann keine Wahlen mit nur einem Kandidaten abhalten", sagt Peter Wanyande, Politikwissenschaftler an der Universität von Nairobi. "Wir steuern auf eine große Krise zu."

In der Hauptstadt Nairobi kam es am Mittwoch zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und Anhängern von Odinga, die für die Absetzung der Wahlkommission demonstrierten. Die Polizei soll dabei auch mit scharfer Munition geschossen haben. Insgesamt kamen im kenianischen Wahlkampf in diesem Jahr bereits fast 40 Menschen ums Leben. Beobachter befürchten eine neue Welle ethnisch motivierter Gewalt wie nach der Wahl 2007, als etwa 1400 Menschen ums Leben kamen. Auch Odinga wurde damals beschuldigt, die Stimmung angeheizt haben. Der 72-Jährige, der in Magdeburg studiert hat, tritt nun bereits zum fünften Mal bei Präsidentschaftswahlen an. Unter dem Regime von Daniel arap Moi, der das Land bis 2002 regierte, saß er fast zehn Jahre im Gefängnis. Für seine Unterstützer ist er der Retter der kenianischen Demokratie, seine Gegner werfen ihm vor, alles zu tun, um an die Macht zu kommen. Odinga beteiligte sich an einem Militärputsch und wechselte ein Dutzend Mal Parteien und Allianzen. Im Falle seines Wahlsieges versprach er, die in Kenia allgegenwärtige Korruption zu bekämpfen und das Wirtschaftswachstum anzukurbeln. Dinge, die bisher jeder Präsident versprochen hat.

Die Wirtschaft ist durch den nun schon ein Jahr andauernden Wahlkampf und die vielen Unwägbarkeiten allerdings stark in Mitleidenschaft gezogen worden. Viele Geschäfte in den großen Städten müssen wegen teils gewalttätiger Proteste immer wieder geschlossen werden. Zahlreiche Bewohner Nairobis haben sich deshalb aus Angst vor der Gewalt zu Verwandten aufs Land geflüchtet.

Raila Odinga will an diesem Donnerstag nach London reisen, um dort über die Herausforderungen für Kenia zu diskutieren, an denen er selbst nicht unbeteiligt ist. Sein Parteifreund und Kandidat für das Amt des Vizepräsidenten verabschiedete sich zeitgleich in den Urlaub nach Hawaii. Sie lassen ein ziemlich ratloses Land zurück.

© SZ vom 12.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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