Kenia:Erst die Tiere, dann die Menschen

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In Kenia verdurstet das Vieh. Dabei war die Regierung auf die Dürre gut vorbereitet. Zur Katastrophen-Verhinderung gibt es sogar eine eigene Behörde - theoretisch.

Von Bernd Dörries, Nanam

Fell und Knochen: Die Tiere der Turkana sind die ersten Opfer der Dürre. Und der Präsident redet mehr von Öl als von Wasser. (Foto: Bernd Dörries)

Sie haben die Tiere an die Straße gelegt, die hier oben im äußersten Nordwesten Kenias einfach eine schmale Sandpiste ist. Die toten Ziegen sehen aus wie gezeichnet, so dünn sind sie, nur Fell und Knochen. Zu Hunderten liegen sie an der Piste nahe des Dorfes Nanam. Man kann sie nicht übersehen, dem Geruch entkommen schon gar nicht, der über die ganze Ebene weht. Über Kilometer geht das so. Es ist der einzige Protest, der dem Volk der Turkana eingefallen ist. Anderswo würde man eine solche Botschaft heute per Twitter verbreiten.

Kenia ist ein ziemlich digitales Land, in dem man per Smartphone seine Wäsche abholen lassen oder auch eine Staatsanleihe zeichnen kann. Aber hier oben an der Grenze zum Südsudan hat das Netz dann doch schlapp gemacht. Was manchem in der Hauptstadt in Nairobi vielleicht gar nicht unrecht kommt: Der Hunger hier im Norden, er produziert keine Bilder.

"Erst sterben die Tiere, dann die Menschen", sagt Millicent Marok. Sie ist das Oberhaupt des Dorfes Nanam, zuständig für etwa 20 000 Menschen. Die Regierung hat ihr ein kleines Häuschen hingestellt mit einem riesigen Zaun drum herum. Im Haus gibt es einen Schreibtisch und ein leeres Regal. An den spärlichen Einträgen in den drei Gästebüchern kann man sehen, dass sich das Interesse an der Situation in Nanam in Grenzen hält. "Ich frage immer wieder bei der Regierung nach, wann Hilfe kommt", sagt Marok, "aber ich erhalte keine Antwort". In der Kammer neben ihrem Büro liegen zwei Heuballen und fünf Säcke mit Tierfutter. Das ist alles, was sie ihren 20 000 Leuten im Moment bieten kann. Und es sieht derzeit nicht so aus, als würde sich das bald ändern.

Wohin sind die 80 Millionen Euro Dürre-Hilfe genau geflossen? Schwer zu sagen

Es ist die schwerste Dürre in Ostafrika seit vielen Jahren. In Kenias Nachbarländern Somalia und Südsudan sterben Menschen in einer Hungersnot, von der die Vereinten Nationen sagen, sie sei "menschengemacht", durch Krieg und Vertreibung angefacht. Im Norden Kenias aber gibt es keinen Krieg und keine Vertreibung, dort gibt es einfach die schlimmste Trockenperiode seit langem; seit einem Jahr hat es in vielen Gebieten nicht mehr geregnet. Die Reaktion auf die Dürre allerdings, sie ist sehr wohl menschengemacht.

Etwa 80 Millionen Euro hat die kenianische Regierung von den Gebern für die Bekämpfung der Dürre und der Unterernährung zur Verfügung gestellt bekommen. Wohin das Geld bisher geflossen ist, lässt sich in der Region Turkana nicht mit Sicherheit sagen. In der Nähe des Dorfes Nanam hat die Regierung einen riesigen Generator an einem Brunnen abgestellt, dessen Pumpe nicht mehr funktionierte. Die Dorfchefin Marok sagt, der Generator schlucke etwa 80 Liter Diesel am Tag, die Regierung schicke aber nur einmal im Monat 100 Liter. Das reiche dann ein bisschen mehr als einen Tag, die anderen Tage im Monat gibt es halt kein Wasser. Solche Generatoren stehen auch in anderen Orten, als habe jemand in Nairobi eine Großbestellung unterzeichnet. Und danach vergessen, sich um den Treibstoff zu kümmern.

Mit der Katastrophe, die sie selbst vorhergesagt hat, ist die Behörde überfordert

Eigentlich, so dachten viele, sei Kenia gut vorbereitet auf eine solche Situation, auf eine Dürre dieses Ausmaßes, die durch den Klimawandel absehbar war. Seit einigen Jahren arbeitete die kenianische Regierung, mit wohlwollender Unterstützung internationaler Geber, am Aufbau einer Behörde für Dürre-Management: die National Drought Management Authority (NDMA). Spätestens seit Kenia 2015 von den UN zu einem Land mit einem durchschnittlichen Einkommen im "unteren Mittelbereich" heraufgestuft wurde, unterstützen die Geberländer mit Vorliebe kenianische Regierungsinstitution. Kleine Hilfsorganisationen mit lokalen Projekten seien eher was für wirklich arme Länder, so die Überlegung dahinter - ein wirtschaftlich aufstrebendes Land wie Kenia dagegen müsse in der Lage sein, eigene Institutionen zu bilden. Die jetzige Dürre-Katastrophe zeigt, dass dies nur teilweise gelungen ist: Zwar produziert die NDMA wissenschaftlich hoch anspruchsvolle Voraussagen. Mit der von ihr selbst voraus gesagten Dürre scheint sie nun aber überfordert.

Emmanuel Kisangau, der einzige Mitarbeiter der NDMA weit und breit, steht in einer stickigen Lagerhalle in Lokichoggio, der Grenzstadt zum Südsudan. Gerade ist ein Lastwagen angekommen mit Futterpellets für die Tiere. Ein paar Männer laden die Säcke ab, die Halle ist zu etwa einem Viertel gefüllt, mehr wird es erst einmal nicht geben. Nach den Berechnungen von Kisangau wird das Futter 60 000 Tiere ernähren können und etwa einen Monat reichen - in einem Gebiet mit etwa einer Millionen Menschen, die fast alle von der Viehzucht leben. Nur einen kleinen Teil der Menschen könne man mit der Hilfe der NDMA-Programme erreichen, sagt Kisangau. Mit Notschlachtungen, mit finanzieller Direkthilfe. Wo das restliche Geld hinfließt? Kisangau lächelt verlegen.

Und so sind es auch wieder private Hilfsorganisationen, die durch das Land fahren und schauen, was man tun kann. In Nanam versucht Tupado, der lokale Partner der Welthungerhilfe, den Brunnen zu reparieren. Ein weiterer wurde mit Spendengeldern aus Deutschland bereits in Stand gesetzt. "Die kenianischen Politik kümmert sich gerade mehr um den Wahlkampf", sagt Samuel Ekal von Tupado. Vor ein paar Wochen sei der Präsident da gewesen und habe die Gegend besichtigt. Von der Dürre sei kaum die Rede gewesen. "Er hat vor allem über die möglichen Ölvorkommen geredet und was man mit dem Geld machen könnte." Das Öl wird man wohl erst in ein paar Jahren fördern können. Die Dürre soll noch bis zu einem Jahr dauern.

© SZ vom 11.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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