Kenia:Entsetzen und wachsender Zorn

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Bei einem Massaker in Kenia sterben etwa 150 Menschen. Neben der Trauer gibt es auch zunehmend Kritik an einem zu laxen Umgang mit Warnungen.

Von Tobias Zick, Kapstadt

Sie kamen im Morgengrauen, als viele der Studenten noch schliefen. Maskierte und schwer bewaffnete Männer stürmten am Donnerstag gegen 5.30 Uhr das Gelände der Universität in Garissa, Kenia. Sie warfen Handgranaten, schossen wild um sich, forderten die schockierten Studenten in den Schlafsälen auf, Koranverse zu rezitieren. Wer sich nicht auf diese Weise als Muslim zu erkennen geben konnte, wurde hingerichtet. Andere wurden von den Angreifern zusammengetrieben und als Geiseln gehalten.

Fast 16 Stunden lang dauerte das Drama, dann - so jedenfalls stellen es die kenianischen Behörden dar - zündeten die Angreifer ihre Sprengstoffgürtel und rissen weitere Geiseln sowie mehrere Soldaten mit in den Tod. Es war der schwerste Terroranschlag in Kenia seit mehr als 15 Jahren: Laut offiziellen Angaben starben 147 Menschen; Beobachtern zufolge könnte die Opferzahl noch höher liegen.

Am Tag zuvor hatte Kenias Präsident Uhuru Kenyatta noch verkündet: "Kenia ist so sicher wie jedes andere Land der Welt". Zugleich kritisierte er die Reisewarnungen westlicher Regierungen: Erst vergangene Woche hatte die britische Regierung ihre Reisehinweise speziell für die kenianische Küste verschärft. Zuvor hatte die australische Regierung ihre Staatsbürger gewarnt, es gebe Hinweise auf mögliche bevorstehende Attentate in Nairobi.

Der Tourismus, eine wichtige Säule der kenianischen Volkswirtschaft, liegt wegen der Terrorgefahr längst am Boden. Im Mai 2014 etwa flogen zwei britische Reiseveranstalter Hunderte Urlauber von der Küste aus, nachdem die Behörden in London vor Anschlägen in der Region gewarnt hatten. Die kenianische Regierung warf den Briten "Wirtschaftssabotage" vor; die Reisewarnungen seien unbegründet. Wenig später überfielen Dutzende Al-Shabaab-Kämpfer die Kleinstadt Mpeketoni in der nördlichen Küstenregion und in den folgenden Tagen weitere benachbarte Dörfer; insgesamt starben bei der Anschlagsserie mehr als 80 Kenianer. Im September 2013 hatten vier Al-Shabaab-Terroristen das Westgate-Einkaufszentrum in der Hauptstadt Nairobi gestürmt, einen beliebten Treffpunkt wohlhabender Kenianer wie auch westlicher Diplomaten und Entwicklungshelfer. Insgesamt sind auf kenianischem Boden in den vergangenen zwei Jahren mehr als 400 Menschen durch Attentate von al-Shabaab gestorben. Ein Sprecher der Terrormiliz drohte dem Land mit weiteren Anschlägen: "Es wird keinen sicheren Ort für Kenianer geben, solange das Land Truppen in Somalia hat."

Al-Shabaab hat Kenia den Krieg erklärt, seit die Regierung in Nairobi 2011 Truppen zum Kampf gegen die Islamisten ins benachbarte Somalia geschickt hat. Sie verfolgen dort seither nicht immer nur ihre offizielle Friedensmission: Eine Expertengruppe der Vereinten Nationen warf in einem Bericht im vorigen Oktober Vertretern der kenianischen Armee vor, in Somalia am Holzkohle-Export der Al-Shabaab-Miliz mitzuverdienen, einer der wichtigsten Einkommensquellen der Islamisten.

Verstörte Studenten hören einer Rede des kenianischen Innenministers zu. (Foto: Carl de Souza/AFP)

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International warf Kenia am Donnerstag vor, nicht genug zu tun, um die Menschen in den Grenzregionen zu Somalia zu schützen: "Bürger und Staatsdiener im Norden haben wiederholt Ängste angesichts ihrer Verwundbarkeit durch Attacken von al-Shabaab geäußert", erklärte deren Ostafrika-Direktor Muthoni Wanyeki. "Die Regierung hat es versäumt, angemessen darauf zu regieren."

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) äußerte sich bestürzt über den Anschlag: Dieser bringe "erneut zum Ausdruck, mit welcher Brutalität die Terroristen von al-Shabaab vorgehen und dass sie in ihrer menschenverachtenden Gesinnung keinerlei Skrupel kennen." Zugleich versicherte Steinmeier der kenianischen Regierung "die Solidarität der Bundesregierung im Kampf gegen diesen Terror." Deutschland unterstützt die kenianische Anti-Terror-Polizei mit Schulungen und Materialspenden wie Geländewagen, Motorrädern und Laserdruckern. Zudem wird Amisom, die Mission der Afrikanischen Union in Somalia, an der auch kenianische Truppen beteiligt sind, von den Vereinten Nationen und der Europäischen Union mitfinanziert. Der deutsche Anteil an diesen Mitteln beträgt nach Angaben der Bundesregierung derzeit mehr als 70 Millionen Euro jährlich.

In Kenia selber wird die Kritik an der Sicherheitspolitik der Regierung immer lauter. Die Opposition fordert seit Monaten, Kenia solle seine Truppen aus Somalia abziehen und sie statt dessen zum Schutz des eigenen Landes einsetzen. Zudem schürt der Umgang der Behörden mit der muslimischen Minderheit im eigenen Land Kritikern zufolge den Terror. Die Anti-Terror-Einheit der Polizei wird beschuldigt, für die außergerichtlichen Tötungen mehrerer islamistischer Prediger in und nahe der Hafenstadt Mombasa verantwortlich zu sein - und so den Extremisten neue Anhänger in die Arme zu treiben. Der Norweger Stig Jarle Hansen, Autor eines Standardwerks über al-Shabaab, kritisiert zudem den "Hang" der kenianischen Behörden zur "kollektiven Bestrafung, vor allem von Somalis - wobei sie die wahren Terroristen verfehlen, aber Wut unter Somalis und unter kenianischen Muslimen schüren". Der regierungskritische kenianische Aktivist Boniface Mwangi erklärte am Donnerstag: "Ein junger Mann somalischen Ursprungs in Garissa wird pauschal als Terrorverdächtiger betrachtet. Darin liegt das Problem."

In Garissa hatte es Berichten zufolge vergangene Woche Warnungen vor einem Anschlag auf die Universität gegeben. Am Donnerstagmorgen standen ganze zwei Wachmänner am Eingang des Campus. Sie waren die ersten Opfer.

© SZ vom 04.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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