Kenia:Die Richter greifen ein

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In Kenia muss die Präsidentenwahl wiederholt werden, wegen Unregelmäßigkeiten - eine historische Entscheidung.

Von Bernd Dörries, Kapstadt

„Nicht im Einklang mit der Verfassung“, urteilte das Oberste Gericht unter dem Vorsitzenden David Maraga. (Foto: Sayyid Abdul Azim/dpa)

Plötzlich waren es die vermeintlichen Verlierer, die sich als Sieger fühlten, die jubelnd durch Kenias Hauptstadt zogen: Die Anhänger von Oppositionsführer Raila Odinga tanzten am Freitag auf den Straßen Nairobis und feierten ein überraschendes Urteil des Obersten Gerichtshofes, der die Präsidentschaftswahl vom 8. August für ungültig erklärt hatte. Die Wahl sei "nicht im Einklang mit der Verfassung" erfolgt, sagte der Vorsitzende Richter David Maraga. Es habe Unregelmäßigkeiten bei der Übertragung der Wahlergebnisse aus den einzelnen Landesteilen geben. Innerhalb von 60 Tagen soll es nun Neuwahlen geben.

"Erstmals in Afrikas Geschichte wurde eine Präsidentenwahl annulliert - das ist ein wegweisendes Urteil", sagte Raila Odinga, der bei der Wahl zum vierten Mal für das Präsidentenamt kandiert hatte - und auch zum vierten Mal verlor. Er hatte sich in den vergangenen Wochen geweigert, das relativ deutliche Ergebnis zu akzeptieren, nach dem Odinga 45 Prozent der Stimmen bekommen hatte und Amtsinhaber Uhuru Kenyatta 54 Prozent.

Eine Reihe internationaler Wahlbeobachter hatte von einem freien und fairen Urnengang gesprochen. Allerdings blieb unklar, auf welcher Grundlage die Beobachter zu ihrem Urteil kamen. Die Opposition warf ihnen vor, keinerlei Einblick in die Server der Wahlkommission gefordert zu haben. Dort sei es zu gravierenden Manipulationen gekommen. Auch der Oberste Gerichtshof sprach nun im Urteil von Unregelmäßigkeiten. Auf den Formularen, die aus den Wahlbüros an die Zentrale übertragen wurden, hätten Stempel oder Unterschriften gefehlt, zudem seien Seriennummern falsch gewesen.

Den Anwälten der Opposition sei zudem der volle Zugang zu den Wahlservern verwehrt geblieben. Oppositionschef Odinga beschuldigte die Wahlkommission am Freitag krimineller Machenschaften und forderte ihren Austausch vor dem erneuten Urnengang. "Sie gehören ins Gefängnis." Noch am Dienstag hatte er die Familie von Chris Msando besucht, des Technikchefs der Wahlkommission, der wenige Tage vor dem Urnengang gefoltert und ermordet wurde. Die Hintergründe sind weiterhin unklar, für die Opposition steht das Verbrechen aber im Mittelpunkt des proklamierten Wahlbetruges.

Präsident Uhuru Kenyatta sagte am Freitag, er teile die Meinung des Gerichts nicht, beuge sich aber dem Urteil. In einer Fernsehansprache sagte er: "Sechs Leute haben beschlossen, sich gegen den Willen des Volkes zu stellen." Von den sechs Richtern des Obersten Gerichtshofs hatten vier für die Annullierung der Wahlen votiert, zwei waren dagegen. "Frieden, Frieden", rief Kenyatta seinen Anhängern zu, bei einem späteren Auftritt war er jedoch bereits wieder im Wahlkampfmodus und beschimpfte die Richter als "Gauner".

Es ist nicht die erste umstrittene Wahl in Kenia. Im Jahr 2007 lag Raila Odinga nach den ersten Hochrechnungen noch vorne, dann drehte sich das Ergebnis auf rätselhafte Weise. Auch internationale Beobachter sprachen damals von Wahlbetrug. Bei den anschließenden Unruhen kamen 1200 Menschen ums Leben. Auch 2013 verlor Odinga, zog vor den Obersten Gerichtshof - und verlor. Auch vor der Wahl im August dieses Jahres hatte der Oppositionsführer angekündigt, keine Niederlage akzeptieren zu wollen.

Für den 72-Jährigen ist es nach einer jahrzehntelangen politischen Karriere die letzte Möglichkeit auf das höchste Amt. Mit Amtsinhaber Kenyatta verbindet ihn eine lange Rivalität. Während dieser der Sohn des ersten kenianischen Präsidenten ist, war Odingas Vater der erste Vizepräsident. Politisch unterscheidet sie wenig, wahlentscheidend ist für viele Kenianer die ethnische Zugehörigkeit. Wer die Vertreter seine Ethnie wählt, erwartet in der Regel im Gegenzug materielle Vorteile, eine neue Straße für das Dorf oder Jobs in de Verwaltung.

Internationale Beobachter hatten den Urnengang als frei und fair beurteilt

Wahlen sind in Kenia deshalb nicht selten ein gewaltsamer Kampf um Ressourcen. Odinga gehört zur Gruppe der Luo, der zweitgrößten Ethnie in Kenia, die seit 50 Jahren für mehr Einfluss kämpft. Und noch nie den Präsidenten stellte. Nach dem Urnengang vor vier Wochen waren bei Unruhen in der Hauptstadt mindestens 21 Menschen ums Leben gekommen. Die Polizei hatte mit scharfer Munition auf Demonstranten geschossen und dabei auch ein kleines Kind getötet. Bis zum Freitagnachmittag waren sich die verfeindeten politischen Lager zumindest einig, dass sich ein Gewaltausbruch nicht wiederholen dürfe. In Nairobi blieb es zunächst ruhig.

© SZ vom 02.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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