Kaukasus-Krieg:Schmach der Supermacht

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Amerika muss tatenlos zusehen, wie Russland in Georgien einmarschiert - die Suche nach den Schuldigen beginnt.

Christian Wernicke

Es ist schon einige Wochen her, da geriet Charles Kupchan beim Abendessen ins Grübeln. Die grüne Heinrich-Böll-Stiftung hatte den renommierten Professor für internationale Beziehungen in kleiner Runde zum Diskurs gebeten, und auf dem Speiseplan stand nichts weniger als die große Frage nach dem "Niedergang des Westens". Die Debatte wogte hin und her, erst zum Nachtisch servierte Kupchan sein Fazit.

Die russische Soldaten sind deutlich in der Überzahl. (Foto: Foto: dpa)

Er mache sich nach all den Jahren transatlantischen Zwists inzwischen "weit weniger Sorgen über die Brüche zwischen Amerika und Europa". Stattdessen plage ihn längst die Frage nach dem verbleibenden Einfluss des Westens gegenüber erstarkten Mächten wie China oder Russland: "Unserem System, ja der vom Westen geschaffenen Ordnung insgesamt geht die Kraft aus", resümierte er.

Washington düpiert

Der Fall Georgien statuiert für diese Weltsicht ein Exempel. Die Art und Weise, wie Russlands Heer in Georgien einfiel, hat die Supermacht in Washington düpiert. Amerikas und Europas Proteste verhallten in Moskau ohne jedes Echo. Nun ziehen anerkannte Russlandexperten wie Dimitri Simes, der Präsident im Thinktank des Nixon Centers, nüchtern Bilanz. Im Kaukasuskrieg habe es für die USA schlicht "keine gute Lösung" gegeben.

Amerika habe angesichts Russlands brachialer Machtpolitik nur die Wahl gehabt zwischen zwei gleichermaßen üblen Optionen: "Entweder wir versuchen, sie (die Russen) mit Gewalt aus dem Weg zu räumen - oder wir akzeptieren eine erniedrigende Niederlage." Washington hat den zweiten Weg eingeschlagen.

Zum Übermut angestachelt

Und die Suche nach den Schuldigen für diese Schmach hat begonnen. Charles Kupchan etwa sieht durchaus eine Mitverantwortung der Bush-Regierung für das Debakel. Der Europa-Experte, unter Bill Clinton einst hochrangiger Mitarbeiter im Nationalen Sicherheitsrat, glaubt, George W. Bush habe Georgiens Präsidenten Michail Saakaschwili zum Übermut angestachelt mit seinem legendären Auftritt 2005 in Tiflis, als der Besucher aus Washington 150.000 begeisterten Menschen zurief: "Wir Amerikaner achten Ihre mutige Wahl der Freiheit. Und während Sie eine freies und demokratisches Georgien bauen, wird das amerikanische Volk Ihnen beistehen."

Davon war, seit am Freitag vergangener Woche die Gewalt eskalierte, wenig zu sehen. Weshalb Kupchan nun glaubt, dass "Saakaschwili den USA zu nahe gekommen ist wie auch die USA Saakaschwili zu nahe kamen". Nicht nur die USA, der gesamte Westen habe nun die wilden Hoffnungen nicht einlösen können, die Bush im Kaukasus einst schürte.

Warnung an georgische Regierung

Selbstverständlich weist die US-Regierung solche Vorwürfe zurück. Hochrangige Diplomaten berichten, noch vergangene Woche habe man die georgische Regierung gewarnt, sich nicht auf russische Provokationen in Südossetien einzulassen. "Beißt nicht an bei diesem Köder, reagiert nicht", habe man Tiflis aus dem Außenministerium heraus signalisiert.

Zugleich wird bekannt, dass im State Department ein Machtkampf tobte. Während politische Beamte dazu neigten, Georgien weiterhin als "Fackel der Freiheit" (George W. Bush) zu befeuern, hätten Russlandexperten im Haus vor einem Konflikt mit Moskau gewarnt, in dem Washington realistisch betrachtet nichts gewinnen könne.

Zudem wird nun der Vorwurf laut, Ministerin Condoleezza Rice, eine studierte Russland-Expertin, habe sich der Sache zu spät angenommen. Die Bush-Vertraute habe sich zuletzt nur noch um den Nahen Osten gekümmert und Russland ihren Untergebenen überlassen. "Die meiste Zeit war diese Regierung nicht auf Georgien oder Russland fokussiert", bemängelt etwa Sarah Mendelson vom Center for Strategic and International Studies.

Härte im Vorwahlkampf

Mitten im Präsidentschafts-Wahlkampf lassen sich demokratische Analysten eine solche Chance zur Kritik nicht entgehen. Richard Holbrooke etwa, unter Clinton weltweit eingesetzter Krisenmanager, greift Condoleezza Rice dafür an, dass die Regierung bislang nur einen mittelhohen Beamten als Sondergesandten in Marsch setzte. Stattdessen hätte Rice gefälligst längst persönlich zum Protest nach Moskau fliegen sollen.

Die Aspiranten für die Bush-Nachfolge, Barack Obama und John McCain, üben sich beide in Härte: Amerika müsse im UN-Sicherheitsrat eine neue Resolution durchsetzen, die eine unabhängige, also von russischen Truppen bereinigte, Friedenstruppe im Kaukasus einsetze. Wie dies gegen das Vetorecht Moskaus durchgesetzt werden soll, behalten sie für sich.

Doch McCain geht noch einen Schritt weiter. Der Veteran steht unter dem Einfluss neokonservativer Vordenker wie Robert Kagan, der die kaukasischen Ereignisse als Beginn einer neuen Ära deutet. "Historiker werden zur Einsicht gelangen, dass der 8. August 2008 ein Wendepunkt von nicht geringerer Bedeutung ist als der 9. November 1989, als die Berliner Mauer fiel", prophezeit Kagan, der als Redenschreiber für McCain tätig ist. Russlands Einmarsch in Georgien erinnere ihn an die Besetzung des Sudetenlandes durch Nazi-Deutschland.

John McCain neigt solcher Analyse offenbar zu. Also fordert der Senator, dessen Weltbild vor allem durch den Kalten Krieg geprägt ist, die Nato solle ihren Beschluss vom jüngsten Gipfeltreffen revidieren und Georgien den Weg zur Mitgliedschaft ebnen. Ein entsprechender US-Vorstoß war beim Bündnistreffen in Bukarest auch an deutschem Widerstand gescheitert. McCain mutmaßt, exakt dieses Zaudern könne "von Russland als grünes Licht gedeutet worden sein für seine Attacken auf Georgien". Was wiederum bedeutet, dass im Falle seines Wahlsieges neuer Zwist auf die transatlantische Allianz zukommt. Garantiert.

© SZ vom 13.8.2008/vw - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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