Kassam-Brigaden-Chef Deif:Phantom von Gaza

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Ist er blind, sitzt er im Rollstuhl? Mohammed Deif hat mehrere Angriffe überlebt, vermutlich schwer verletzt. Der Chef der Kassam-Brigaden gilt in Israel als Staatsfeind Nummer eins. Was er sagt, gilt - auch bei den Verhandlungen in Kairo.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Von Mohammed Deif ist nur dieses zu Beginn seiner Karriere als Kämpfer aufgenommene Foto bekannt. (Foto: afp)

Er ist der Geist, der stets verneint. Wenn es um Krieg oder Frieden geht, wählt Mohammed Deif immer den Waffengang. Als Anführer der schwer bewaffneten Kassam-Brigaden im Gazastreifen hält er nun wieder die politische Führung der Hamas zu unnachgiebiger Härte an.

Ein Ende der Kämpfe, so hat er bestimmt, werde es erst geben, wenn alle Forderungen der Palästinenser erfüllt seien. Vom Untergrund aus zieht er die Fäden. Doch wie er das anstellt, ist selbst für den israelischen Geheimdienst ein Rätsel. Denn Deif wurde mehr als einmal totgesagt. Mindestens vier gezielte israelische Angriffe hat er überlebt - doch er wurde dabei schwer gezeichnet.

Die einen sagen, er habe ein Auge verloren, andere vermuten ihn im Rollstuhl. Manchmal heißt es, es seien ihm wegen der Verletzungen Arme und Beine amputiert worden. Ob halb blind oder ganz gelähmt: Deif ist das Phantom von Gaza, unsichtbar, ein Geist eben, aber von Mythen umrankt und von Israel gefürchtet. Das einzig bekannte Foto zeigt ihn in jungen Jahren, am Anfang seiner Kämpfer-Karriere. Mittlerweile fungiert er seit fast 20 Jahren als Israels Staatsfeind Nummer 1. So lange hat noch keiner durchgehalten auf diesem eigentlich verlorenen Posten.

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Über Persönliches ist fast nichts bekannt bei Mohammed Deif, das Private dürfte in seinem Leben auch eine deutlich nachgeordnete Rolle spielen. Fünfzig Jahre soll er alt sein, die Familie stammt aus Khan Junis im Süden des Gazastreifens, was man auch deshalb weiß, weil sein Haus gerade bombardiert wurde.

Aus seiner Jugend wird ein Faible fürs Theaterspielen berichtet. Über die Muslimbrüder kam er dann Mitte der neunziger Jahre zu den Kassam-Milizen. Dort ging er beim berühmtesten Bombenbauer der Hamas in die Lehre: Yiyah Ayyasch, genannt "der Ingenieur".

Seither wird er von Israel für Selbstmord-Anschläge ebenso verantwortlich gemacht wie für Soldatenmorde und Entführungen. Als 1996 Ayyasch zu Tode kam - ein mutmaßlich vom israelischen Geheimdienst präpariertes Handy explodierte direkt an seinem Ohr - stieg Deif in der Hamas-Hierarchie auf. 2002 war es branchenüblich erneut ein Todesfall, der ihn zum Chef der Kassam-Brigaden beförderte, diesmal starb der Vorgänger Salah Schehadeh beim Bombardement seines Hauses.

Sein Wort hat Gewicht

Gewarnt also war Mohammed Deif, doch er hatte mehrfach das Glück auf seiner Seite. Einmal soll er aus dem Auto gesprungen sein, bevor eine Rakete einschlug, ein andermal konnte er verletzt auf dem Rücksitz geborgen werden, während zwei Mitfahrer starben. Wer so viel überlebt und immer weiter kämpft, der taugt zum Helden in Gaza. Jedes Kind kennt dort die Saga vom fast unsterblichen Anführer der Kassam-Brigaden.

Ob er nach all den erlittenen Verletzungen aber tatsächlich noch fürs operative Geschäft taugt, ist alles andere als gewiss. Vielleicht ist er auch nur noch eine Symbolfigur, ein Spiritus Rector, an dem sich die Jungen orientieren.

Doch bis heute befeuern auch die Israelis noch seinen Status, erklären ihn zum "Architekten des Tunnelsystems", zum Mastermind hinter dem Raketen-Programm und zum Chef-Strategen des Straßenkampfes, in dem die Kassam-Kämpfer in diesem Krieg deutlich mehr bewirkten als zuvor. Vielleicht ist es immer hilfreich, dem Feind ein klares Profil zu geben, ob er nun bin Laden heißt, Saddam oder Mohammed Deif.

Sein Wort hat in jedem Fall auf beiden Seiten großes Gewicht, und so horchten alle auf, als er sich in diesem Krieg per Audio-Botschaft meldete. Al-Aksa-TV, der Hamas-eigene Sender, zeigte dazu die Silhouette eines Sitzenden. "Ihr schickt eure Soldaten in ein Schlachthaus", rief er den Israelis zu. "Die Zionisten werden keine Sicherheit haben, bis das palästinensische Volk in Frieden lebt." Einen Waffenstillstand könne es erst dann geben, "wenn die Belagerung von Gaza aufgehoben ist und die Grenzen offen sind".

Ein Machtwort also war gesprochen, das nun auch über den Verhandlungen in Kairo hängt. Einer Entwaffnung der Hamas, wie sie Israel verlangt, wird dort kein Palästinenser zustimmen können. Denn dann werden die Kassam-Brigaden auf die Barrikaden gehen. Und so mächtig ist keiner in Gaza, dass er es sich mit Mohammed Deif verderben kann.

© SZ vom 11.08.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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