Kanzlerschaft:Merkels Macht

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Wer Angela Merkel unterschätzt, hat schon verloren: Die Kanzlerin wird auch mit einer FDP fertig werden, die gerade überall lesen darf, sie habe die Wahl gewonnen.

Nico Fried

Mit Koalitionspartnern, die sich für die wahren Sieger einer Bundestagswahl halten, hat Angela Merkel gute Erfahrungen gemacht: 2005 glaubte die SPD, Merkel als Kanzlerin von sozialdemokratischen Gnaden installieren zu können. Die ganze Anlage der großen Koalition war damals von SPD-Chef Franz Müntefering darauf ausgerichtet, die Regierungschefin bewegungsunfähig und damit zu einer kurzen politischen Episode zu machen.

Im Ergebnis ist nun die SPD ihrem eigenen Untergang näher denn je gekommen, während Merkel mit mildem Spott über jene Einwände hinweggehen kann, wonach das Ergebnis der CDU sooo toll aber nicht gewesen sei.

Jetzt hat es die Kanzlerin mit einer FDP zu tun, die überall lesen darf, dass sie die Wahl gewonnen habe. Eine starke FDP also, vor der sich Merkel fürchten soll. Die Kanzlerin allerdings hat ohne Regierungserfahrung eine große Koalition zu ihren Gunsten nutzbar gemacht - da darf man ihr schon zutrauen, dass sie mit Erfahrung ein Bündnis mit einem kleineren Partner zu organisieren vermag.

Es gehört zu den Konstanten im politischen Leben Merkels, dass in der Art und Weise, wie sie ein Ziel erreicht, immer gleich der Grund dafür gesehen wird, warum sie am nächsten Ziel scheitern wird. Nur gestimmt hat es bis jetzt noch nie. Horst Seehofer lässt sich gerne mit dem Satz zitieren, wer Merkel unterschätze, habe schon verloren. Das ist richtig - und lässt sich an niemandem besser studieren als an Horst Seehofer.

Merkel wird sich eine Koalition zusammenbasteln, die aus ihrer Sicht drei Erfordernissen entsprechen muss. Erstens der Stabilität ihrer Macht, zweitens der Stabilität ihrer Macht und drittens der Stabilität ihrer Macht. Je besser ihr das gelingt, desto freier wird sich die Kanzlerin fühlen, auch dem eigentlichen Wählerauftrag nachzukommen - erfolgreich zu regieren.

Die Reihenfolge Macht vor Machen aber ist für Merkel zwingend, sie beruht auf ihrer persönlichen politischen Erfahrung innerhalb der Union und aus dem, was sie von anderen Kanzlern gelernt hat. Macht ist für Merkel ein Instrument, keine Belohnung.

Was die eigene Partei angeht, hat es die CDU-Vorsitzende zunächst einmal leichter. Die neue Koalition bietet mehr Posten als die alte. So lassen sich Wohlwollen und Loyalität bei Parteifreunden ein wenig stimulieren, wo sie immer noch nicht ausreichend entwickelt sein sollten.

Aber auch den Ministerpräsidenten, die ihre Posten mehr oder weniger aus eigener Kraft haben, wird es nun noch schwerer fallen, Merkels Führung anzuzweifeln oder gar zu hintertreiben. Es wäre schwer zu vermitteln, wenn die schwarz-gelben Regierungen im Bundesrat, die fast alles mitgemacht haben, was die große Koalition ihnen abverlangte, nun ausgerechnet die Politik der Koalition blockierten, für die sie selber stehen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie Angela Merkel mit der FDP umgehen wird und wie sie sich als Kanzlerin aller Deutschen inszenieren kann.

Für den Umgang mit der FDP wird sich Merkel am Vorbild Helmut Kohls orientieren, den sie acht Jahre lang im Kabinett erleben konnte. Dessen Prinzip war es, dem Koalitionspartner Luft zum Atmen zu lassen und gelegentlich sogar einen Erfolg zu gönnen.

Gegenüber der FDP wird Merkel das auch leichter fallen als in der großen Koalition gegenüber den Sozialdemokraten, weil die Liberalen solche Punktgewinne einfach nur für sich verbuchen werden, während die SPD stets darauf bedacht war, jeden noch so kleinen Erfolg gleich gegen Merkel zu wenden.

Was aber macht die Kanzlerin, wenn die Macht gesichert ist? Der Wirtschaftsflügel und die Mittelstandsvereinigung der Union, zwei tigerhafte Gruppen, die eigentlich schon als die größten Bettvorleger der vergangenen vier Jahre ins Haus der Geschichte gehören, werden ihr Haupt erheben und sich mit den Marktradikalen der FDP verbünden.

Das aber muss Merkel nicht fürchten, sie muss es sich sogar wünschen. Denn nur in der Abgrenzung zu diesem Flügel kann sie sich als die Kanzlerin aller Deutschen inszenieren, als die sie sich am Wahlabend empfohlen hat.

In der großen Koalition profitierte die Kanzlerin in hohem Maße davon, dass die SPD sie zwang, sich von ihrer Leipziger Vergangenheit zu verabschieden. Etwas Besseres hätte Merkel nicht passieren können.

So ist sie in die Mitte gerückt, die sie nun publikumswirksam gegen die Begehrlichkeiten ihrer neuen Partner verteidigen kann. Oder glaubt irgendjemand, dass Merkel vom Mindestlohn bis zum Gesundheitsfonds irgendetwas von dem rückgängig macht, was sie in der großen Koalition vereinbart hat?

Die Macht der Straße, die manch einer nun schon gegen Schwarz-Gelb vorrücken sieht, wird auf sich warten lassen. Wer soll sie organisieren? Die SPD? Mit oder ohne Linkspartei? In den Ländern mit, im Bund ohne? Auch die Gewerkschaften werden es vorerst nicht sein. Merkel hat sie vier Jahre lang sorgsam umhegt, was ihr die Gewerkschaftsbosse mit einem freundlichen Besuch mitten im Wahlkampf dankten.

Angela Merkel steht nach dieser Wahl stärker da, als es das nackte Ergebnis ausdrückt. In Guido Westerwelle hat sie einen Partner, der sich hüten wird, das Fitzelchen Macht, das er abkriegt, gleich wieder zu verspielen.

Nur eines fehlt der Kanzlerin: eine Opposition, die der wichtigsten Anforderung der Demokratie an die Opposition entspricht, nämlich jederzeit in der Lage zu sein, die Regierung abzulösen. Erst dieses Defizit verdeutlicht die ganze Dimension von Merkels Sieg.

© SZ vom 29.09.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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