Kanzlerin Merkel und Minister Schäuble:Fremde Weggefährten

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Kanzlerin Merkel und ihr Finanzminister sind in der Krise aufeinander angewiesen. Trotz 20 gemeinsamer Jahre sind sie sich fremd. Ihr persönliches Verhältnis ist nicht schlecht - denn es existiert nicht.

C. Hulverscheidt

Wer Angela Merkel diese Woche auf dem Kleinen Parteitag der CDU gesehen hat, der hatte nicht das Gefühl, eine Frau vor sich zu haben, die allein mit der Kraft ihrer Worte einen ganzen Kontinent einen kann. Die Rede lausig, der Beifall müde, und der einzige Delegierte, der sich in der anschließenden Debatte über die Ansprache der Parteichefin zu Wort meldete, war ein wahlkämpfender Landespolitiker namens Jürgen Rüttgers.

Und doch scheint der Bundeskanzlerin in dieser Woche genau das zu gelingen: Sie setzte durch, dass der Internationale Währungsfonds den im Schuldensumpf versinkenden Griechen zu Hilfe eilen soll, und beendete damit, zumindest vorerst, einen seit Wochen andauernden Streit innerhalb der Europäischen Union. Sie überzeugte den Franzosen Nicolas Sarkozy, sie stoppte den Kommissionspräsidenten José Manuel Barroso, vor allem aber hielt sie ihren eigenen Finanzminister davon ab, seinem griechischen Amtskollegen mit deutschem Steuergeld zur Seite zu springen und damit die europäischen Verträge zu brechen. Ausgerechnet ihn, den Durch-und-durch-Juristen Wolfgang Schäuble.

Es ist viel geschrieben worden über Angela Merkel und Wolfgang Schäuble in den vergangenen Tagen. Über ihr angeblich zerrüttetes Verhältnis. Über ihre Sprachlosigkeit und ihr gegenseitiges Misstrauen. Nichts davon stimmte in dieser Zuspitzung, und doch ist richtig: In 20 Jahren gemeinsamer Arbeit sind sich die heutige Kanzlerin und ihr Finanzminister, die frühere CDU-Generalsekretärin und ihr damaliger Parteichef, fremd geblieben. Ihr persönliches Verhältnis ist nicht schlecht, es existiert gar nicht. Es entschwand während der CDU-Spendenaffäre Ende des vergangenen Jahrzehnts, als der Vorsitzende sein Amt aufgeben musste und die Generalsekretärin beherzt zugriff. Und es kam nicht wieder, als Merkel Schäuble später den Weg ins Amt des Bundespräsidenten verbaute. Ihre Beziehung zueinander ist heute eine ausschließlich berufliche, eine fast schon beängstigend nüchterne.

Als Merkel Schäuble im Herbst vergangenen Jahres fragte, ob er ihr Finanzminister werden wolle, zögerte der alte Haudegen ein paar Sekunden lang. "Sie werden's mit mir aushalten müssen", sagte er dann. "Ich bin loyal, aber unbeweglich - auf eine freundliche Art stur." Merkels Reaktion ist nicht überliefert, aber man liegt wohl nicht ganz falsch, wenn man annimmt, dass sie lächelnd nickte. Denn exakt einen solchen Sturkopf wird sie brauchen, um den in der Wirtschaftskrise völlig aus dem Ruder gelaufenen Bundeshaushalt wieder einigermaßen ins Lot zu bringen. Allerdings handelte sie sich mit der Sturköpfigkeit auch einen neuen Politikstil im Finanzministerium ein. Merkels Verhältnis zu Schäubles Amtsvorgänger Peer Steinbrück war durch die Finanzkrise geprägt gewesen. Sie bescherte der CDU-Chefin und dem damaligen SPD-Vize beinahe wöchentlich einen Blick in den Abgrund und schweißte sie ungewöhnlich eng zusammen. Absprachen wurden auf dem ganz kurzen Dienstweg getroffen, ohne jedes bürokratische Brimborium, sowohl zwischen Merkel und Steinbrück selbst, als auch zwischen ihren Mitarbeitern.

Das hat sich seit Schäubles Einzug ins ehemalige Reichsluftfahrtministerium an der Berliner Wilhelmstraße grundlegend geändert. Zwar gibt es selbstredend keine "Kontaktsperre" gegenüber dem Kanzleramt und den übrigen Häusern, wie mancherorts behauptet wird. Der neue Ressortchef hat seine Mitarbeiter aber sehr wohl angewiesen, alle Themen zunächst intern zu besprechen und eine gemeinsame Position festzulegen, bevor andere Regierungsstellen eingeschaltet werden. "Er hat unmissverständlich klar gemacht: Er ist der Chef. Er führt. Er prägt die Meinung des Hauses", sagt ein Regierungsmitarbeiter. Das ist das glatte Gegenteil eines Politikstils, bei dem der Minister die regierungsinterne Abstimmung zunächst den niederen Chargen überlässt und die gefundene Lösung am Ende einfach abnickt. Mancher im Kanzleramt hat sich an diesen neuen Stil noch nicht gewöhnt, von einer Art Bunkermentalität der Finanzministerialen ist die Rede. Man könnte es allerdings auch umgekehrt formulieren: Schäuble nimmt die Ressortverantwortung, die das Grundgesetz jedem Bundesminister auferlegt, ernst, und er nimmt sie wahr.

Ein Problem ist beiden gemein: Griechenland

Das bedeutet nicht, dass er nicht wüsste, wer im Kabinett Koch ist und wer Kellner, wie Gerhard Schröder das einst ausdrückte. Als der querschnittsgelähmte Schäuble jüngst einige Wochen im Krankenhaus verbringen musste, weil er ein neues Implantat erhielt, telefonierte er beinahe täglich mit der Kanzlerin. Und auch über seinen Gastbeitrag in der Financial Times, in dem er ungewöhnlich detailliert für die Idee eines Europäischen Währungsfonds warb, war Merkel entgegen aller anderslautenden Berichte vorab informiert. Denn bei allen Differenzen im Detail ist Merkel und Schäuble gemeinsam, dass sie kaum ein Problem je so beschäftigt hat wie das Griechenlands. Seit Wochen raubt ihnen das Thema jeden Tag zwei bis drei Stunden ihrer Arbeitszeit, häufig sind es noch deutlich mehr. Beide treibt dabei die Sorge um, einen Fehler zu machen, der sich in fünf oder zehn Jahren als fatal für die Stabilität des Euros und damit der gesamten Europäischen Union erweisen könnte. Sie habe das Gefühl, so sagte Merkel jüngst in kleiner Runde, "Neuland" zu betreten.

Von der CDU-Chefin ist bekannt, dass sie die Dinge gerne vom Ende her denkt, um dann Schritt für Schritt von hinten nach vorn einen Lösungsweg zu identifizieren. Doch das klappt diesmal nicht. Zwar ist das Ziel - der Erhalt eines stabilen Euro - klar, alle Lösungswege aber verlieren sich irgendwann im Nebel. Helfen die EU-Partner den Griechen finanziell aus der Patsche, wie Schäuble das zunächst wollte, brechen oder beugen sie die EU-Verträge. Lässt man Griechenland hingegen fallen, könnte eine Kettenreaktion mit ebenso unabsehbaren Folgen in Gang kommen. Es ist wie in der klassischen griechischen Tragödie: Welchen Weg man auch wählt - er führt scheinbar unaufhaltsam ins Unglück.

Merkel und Schäuble sind beide überzeugte Europäer. Ihre Sozialisierung jedoch verlief völlig unterschiedlich. Schäuble erlebte den Zweiten Weltkrieg und die Unsicherheit der ersten Nachkriegsjahre als Kind noch hautnah mit. Die Einigung Europas war für ihn deshalb stets mehr als ein nüchternes Abwägen politischer Vor- und Nachteile. Sie war immer auch eine Frage von Krieg und Frieden, die er und sein einstiger Mentor Helmut Kohl mit der Einführung des Euro ein für allemal zugunsten des Friedens beantworten wollten. Auch für Merkel bedeutete die Gründung der Währungsunion mehr als die Ausgabe einheitlicher Geldscheine und Münzen. Und dennoch geht sie, die erst 1954 geboren wurde und in der DDR aufwuchs, ein gutes Stück nüchterner an das Thema Europa heran. Ihre Europapolitik ist stärker innenpolitisch motiviert, sie ist damit - man mag das bedauern - moderner, zeitgemäßer als der Ansatz Schäubles. Der Franzose Sarkozy und der Brite Gordon Brown handeln nicht anders.

Und es gibt noch einen zweiten Punkt, der die Kanzlerin und ihren Minister so sehr verbindet, wie er sie trennt: Beide sind gläubige Protestanten, die brandenburgische Pfarrerstochter Merkel ebenso wie der Badener Schäuble, Sohn eines katholischen Vaters und einer evangelischen Mutter. Bei der Kanzlerin schimmert diese Gläubigkeit meist nur dann durch, wenn es um die großen Fragen des Lebens geht. Bei Schäuble hingegen wirkt seine tiefe Religiosität bis ins Alltagsgeschäft hinein, wie einer, der ihn gut kennt, beobachtet hat. Seine Bereitschaft etwa, den finanzpolitischen Schummelbrüdern in Athen zu helfen, speise sich auch aus der Überzeugung, dass man sich in einer Familie nicht gegenseitig fallenlässt. Es ist, als wendete der Minister das 2000 Jahre alte Gleichnis vom verlorenen Sohn auf die Politik des 21. Jahrhunderts an.

Ihr unterschiedliches Wesen birgt für Merkel und Schäuble in den kommenden Jahren viel Konfliktpotential. Andererseits sind beide diszipliniert genug, um persönliche Animositäten im Zweifel hintanzustellen. Dass die Kanzlerin guten Willens ist, zeigt etwa die Geste, dass sie Schäuble vergangene Woche als einzigen Minister zum Treffen der Koalitionsspitzen ins Kanzleramt einlud. Wie belastbar ihr Verhältnis tatsächlich ist, wird sich bereits in den kommenden Wochen erweisen - nicht beim Thema Griechenland, sondern bei der Aufstellung des Haushalts für 2011. Zehn Milliarden Euro muss Schäuble einsparen, will er die Verfassung - und nichts will er mehr - einhalten. Die Kabinettskollegen jedoch wollen nicht zehn Milliarden Euro weniger ausgeben, sondern zehn Milliarden mehr. Ein Affront, den Schäuble nur mit Merkels Hilfe wird kontern können. Spätestens Mitte Juli also, wenn das Bundeskabinett den Haushaltsentwurf beschließt, wird man ihre Wertschätzung für den Finanzminister ziemlich exakt bemessen können. In Euro und Cent.

© SZ vom 25.03.2010/dgr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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