Kanzlerin Merkel in China:Reise an die Grenzen der Macht

Wer wie Angela Merkel als Politiker nach China fährt, darf nicht immer selbst über Begleiter oder Gesprächspartner entscheiden. Viele lassen sich das gefallen, weil sie China als Rettungshelfer für den Euro oder als Verbündeten im Umgang mit Iran und Syrien brauchen. Trotzdem sollte ihre Kritik an Chinas Menschenrechtsverstößen über vorsichtige Floskeln hinausgehen.

Daniel Brössler

Bei ihrem Besuch in China war Angela Merkel hofierter Gast und Opfer der Diktatur gleichermaßen. Die Kanzlerin wurde von Staats- und Parteichef Hu Jintao in der Großen Halle des Volkes empfangen, aber sie durfte nicht selber entscheiden, mit welchen Journalisten sie spricht oder wem sie begegnet.

Wenn Behörden einem Bürgerrechtler den Besuch eines Empfangs zu Ehren Merkels verbieten und eine Visite bei einer kritischen Zeitung platzen lassen, drangsalieren sie eben nicht nur eigene Bürger. Sie brüskieren auch die Kanzlerin.

Reisen nach China sind für deutsche Politiker stets Reisen an die Grenzen ihrer Macht. Außenminister Guido Westerwelle wurde im vergangenen Jahr gestattet, in Peking eine teure Ausstellung über die Kunst der Aufklärung zu eröffnen, aber er durfte nicht selber entscheiden, wer ihn in seiner Delegation begleitet. Die chinesische Führung verweigerte dem Sinologen Tilman Spengler das Visum.

Westerwelle ließ es sich gefallen, so wie auch Merkel die neuerlichen Zumutungen erduldete. Aus diplomatisch-pragmatischer Sicht lässt sich das erklären. China wird gebraucht - sei als Rettungshelfer für den Euro oder als Partner im Umgang mit Iran und Syrien.

China ist stärker geworden. Das darf aber keine Rechtfertigung sein, die Ignoranz der chinesischen Führung in Sachen Menschenrechte hinzunehmen. Für Menschenrechtler in China wäre es ein verheerendes Signal, wenn nicht einmal die reichsten Demokratien der Welt es wagen, für sie einzutreten.

Die Kritik muss über stille Diplomatie und vorsichtige Floskeln hinausgehen. Das hat seinen Preis - ebenso wie das Schweigen. Den freilich zahlen am Ende die chinesischen Oppositionellen.

© SZ vom 04.02.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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