Aufruhr in Libyen:Berlusconi geht auf Distanz

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Italiens Ministerpräsident Berlusconi hat sich offenbar von seinem langjährigen Verbündeten in Libyen abgewandt. Es sehe so aus, als habe Gaddafi die Situation nicht mehr unter Kontrolle, sagte er. Unterdessen traten die ersten Sanktionen in Kraft.

Noch vor den Vereinten Nationen und der Europäischen Union haben die USA Sanktionen gegen die libysche Führung verhängt. Die Strafmaßnahmen richteten sich gegen das Regime von Staatschef Muammar al-Gaddafi, nicht gegen das libysche Volk, erklärte Präsident Barack Obama in Washington. Auf Anordnung des Präsidenten sollen die Vermögen der Führungsriege um Gaddafi eingefroren werden, auch die der Kinder des Staatschefs und aller Personen, die an Menschenrechtsverstößen gegen Regierungsgegner beteiligt waren.

Die UN wollen noch am Samstag Strafmaßnahmen beschließen. Die EU verständigte sich prinzipiell auf ein Sanktionspaket. Wie Gaddafis Sohn Saif al-Islam am Freitagabend in Tripolis mitteilte, wolle die Armee ihre Angriffe auf Aufständische aussetzten, um Gespräche zu ermöglichen. Er kündigte zugleich die baldige Wiederherstellung der staatlichen Kontrolle in den Städten im Osten des Landes an, die aber mittlerweile von Aufständischen beherrscht werden.

Sein Vater hatte zuvor noch zum Kampf aufgerufen. "Wir können jeden Angriff abwehren und das Volk bewaffnen", drohte Gaddafi bei einem überraschenden Auftritt auf dem Grünen Platz in Tripolis. Er rief seine Gefolgsleute auf, protestierende Regimegegner zu töten.

Unterdessen hat der libysche Diktator nach Einschätzung des italienischen Regierungschefs Silvio Berlusconi die Kontrolle in dem nordafrikanischen Land verloren. Es drohe jetzt ein humanitärer Notstand mit Zehntausenden hilfsbedürftiger Menschen, warnte der langjährige Gaddafi-Freund Berlusconi am Samstag bei einem Parteitag in Rom. Wenn alle an einem Strang zögen, "dann können wir das Blutbad stoppen und das libysche Volk unterstützen", sagte Berlusconi. Nordafrikas Zukunft sei sehr ungewiss, die Völker könnten sich der Demokratie annähern oder sich aber dem Islamismus zuwenden.

Der libysche Machthaber lässt nach Angaben von Einwohnern in Tripolis regimetreue Zivilisten bewaffnen, um gegen Demonstranten vorzugehen. In den Straßen der Hauptstadt patrouillierten zahlreiche Zivilpersonen, wie Einwohner telefonisch berichteten. Sie sollten Kontrollstellen errichten und gegen Regierungsgegner vorgehen.

Am Samstag blieben die meisten Einwohner der Hauptstadt aus Furcht zu Hause. Die Mehrzahl der Geschäfte war geschlossen, vor geöffneten Bäckereien bildeten sich Schlangen von Menschen, die sich mit Vorräten eindecken wollten. Ein 40-jähriger Geschäftsmann sagte, er habe gesehen, wie Anhänger Gaddafis in eines der Hauptquartiere der regierungstreuen Revolutionskomitees eingedrungen seien und Waffen herausgeholt hätten. Das Regime biete jedem ein Auto und Geld, der drei weitere Leute aufbiete, um für Gaddafi zu kämpfen. "Sie bewaffnen sie, damit sie in der Stadt umherfahren und Menschen terrorisieren", sagte der Geschäftsmann. Andere Bewohner berichteten von Lastwagen voller Zivilpersonen mit automatischen Waffen, die in ihren Stadtvierteln patrouillierten. Darunter seien viele junge Männer mit grünen Armbinden oder Kopftüchern als Zeichen ihrer Verbundenheit zum Regime.

"Die Regierung von Muammar al-Gaddafi hat gegen internationale Regeln und jeden Anstand verstoßen und muss dafür zur Rechenschaft gezogen werden", erklärte Obama. Deshalb zielten die Sanktionen gegen Gaddafis Führungsriege, "während sie das Vermögen, das dem libyschen Volk gehört, schützen". Obama kündigte eine enge Abstimmung der USA mit befreundeten Staaten und den Vereinten Nationen bei weiteren Schritten an. Man stehe "standhaft an der Seite des libyschen Volkes bei seiner Forderung nach universellen Rechten und einer Regierung, die offen ist für sein Bestreben".

Die Präsidentin des Weltsicherheitsrates, Maria Luiza Ribeiro Viotti, stellte eine Einigung des 15-Länder-Gremiums auf Sanktionen gegen das Regime in Tripolis an diesem Samstag in Aussicht. Man sei "übereingekommen, sich in Eile um eine Resolution zu bemühen, die Maßnahmen gegen einen bestimmten Zielkreis beinhaltet", erklärte sie in New York. Die Resolution solle der Gewalt in Libyen ein Ende bereiten und "die gegenwärtige Krise friedlich lösen".

In einer Krisensitzung am Freitagabend hatte UN-Generalsekretär Ban Ki Moon dem Rat Druck gemacht. "Es ist an der Zeit, dass der Sicherheitsrat konkrete Maßnahmen erwägt", mahnte er. Unter den dramatischen Umständen für die libysche Bevölkerung "bedeutet vergeudete Zeit höhere Verluste an Menschenleben". Der von Großbritannien, Frankreich und Deutschland erarbeitete Resolutionsentwurf droht dem Regime unter Berufung auf Kapitel VII der UN-Charta mit scharfen Sanktionen, sollte es die Gewalt gegen die Bevölkerung nicht sofort einstellen. Vorgesehen sind ein striktes Waffenembargo, die Sperrung der Konten des Gaddafi-Clans sowie Einreiseverbote.

Wie EU-Diplomaten in Brüssel am Freitag mitteilten, sei die politische Weichenstellung für Sanktionen erfolgt. Der formale Beschluss solle Anfang nächster Woche gefasst werden. Sanktionen müssen grundsätzlich von allen 27 EU-Mitgliedsstaaten einstimmig beschlossen werden. "Die Details werden nun ausgearbeitet", hieß es in Brüssel. "Die Zeit der Appelle ist vorbei, jetzt wird gehandelt", betonte Außenminister Guido Westerwelle in Berlin.

"Die Armee hat entscheiden, die Terroristen nicht anzugreifen, um ihnen die Möglichkeit für Verhandlungen zu geben", sagte Saif al-Islam Gaddafi bei einer Pressekonferenz in Tripolis. Er hoffe, dass dies am Samstag auf "friedlichem Wege" möglich sei. Nach tagelangen blutigen Kämpfen haben Gegner des Regimes von Muammar al-Gaddafi die Kontrolle über die Städte im Osten Libyens übernommen. Das libysche Militär war aus den Gebieten geflohen oder hatte sich den Aufständischen angeschlossen. "Uns wurde versichert, dass der Staat die Kontrolle über die östlichen Städte des Landes zurückgewinnen wird", sagte Saif al-Islam Gaddafi.

Erneut machte er Islamisten für die Proteste gegen das Regime seines Vaters verantwortlich. Das hätten Bewohner der von den Aufständischen kontrollierten Stadt Bengasi bestätigt. Sie hätten sich telefonisch auch über die chaotischen Zustände beklagt. "Mädchen können nicht mehr auf die Straße gehen, Schulen sind geschlossen und das öffentliche Leben ist zum Stillstand gekommen, weil, so beschreiben sie es, Islamisten dort mit Gewalt die Kontrolle übernommen haben", sagte der Gaddafi-Sohn. Er bestritt auch, dass Söldner gegen Demonstranten eingesetzt worden seien. Augenzeugen hatten zuvor berichtete, dass Kämpfer aus dem Tschad, Mali und anderen afrikanischen Staaten Gegner des Gaddafi-Regimes angegriffen hätten.

© dpa/rtr/dapd - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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