Joschka Fischer über Finanzkrise:Schafft endlich ein starkes, vereinigtes Europa!

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Die Eurostaaten zahlen jetzt den Preis dafür, in der Vergangenheit nur politische Versprechen abgegeben, sie aber nicht eingehalten zu haben: Die Eurokrise bedroht heute das gesamte Einigungsprojekt, sie hat sich bis zu den Fundamenten der Nachkriegsordnung durchgefressen. Genau jetzt müssen wir alles tun - für eine echte politische und wirtschaftliche Integration Europas.

Joschka Fischer

So langsam spricht es sich selbst in Deutschland herum, dass die Finanzkrise das gesamte europäische Einigungsprojekt zerstören könnte, weil sie vor allem die Schwächen der Euro-Gruppe und ihrer Konstruktion gnadenlos offenlegt. Und diese Schwächen sind weniger finanzieller oder wirtschaftlicher, sondern vor allem politischer Natur.

Der Ex-Außenminister und -Vizekanzler Joschka Fischer (Grüne) fordert ein starkes, vereinigtes Europa. (Foto: dapd)

Der Euro und die ihm angehörenden Staaten zahlen jetzt den Preis dafür, dass mit dem Vertrag von Maastricht, auf dem der Euro gründet, zwar eine Währungsunion eingeführt wurde, die dafür unverzichtbare politische Union aber lediglich ein Versprechen blieb. Die Währungsunion steht daher auf den recht dünnen Beinchen einer Konföderation zur Währungsunion entschlossener Staaten, die ansonsten aber ihre Souveränität behalten. In der Krise funktioniert das ganz offensichtlich nicht.

Ganz zu Beginn der Krise, 2007/08, hätte die Chance bestanden, den Geburtsfehler von Maastricht zu korrigieren, wenn Deutschland damals dazu bereit gewesen wäre, eine gemeinsame europäische Antwort auf die Krise zu unterstützen. Dazu ist es aber nicht gekommen, sondern Berlin bevorzugte nationale, also "konföderative" Antworten.

Die Folgen kann man heute betrachten. Konföderationen haben in der Geschichte nie wirklich funktioniert, weil die Macht- und Souveränitätsfrage unentschieden bleibt. Die USA können davon ein Lied singen, denn auch sie mussten nach ihrer Unabhängigkeit genau diesen Schritt hin zu einer echten Föderation tun, da sie ansonsten zu scheitern drohten. Europa - genauer die Euro-Gruppe - befindet sich heute in einer fast identischen Situation, nur sind die historischen Bedingungen sehr viel komplexer und schwieriger.

Europa verfügt gegenwärtig über drei Optionen zur Reaktion auf seine Krise: Weiterwursteln wird die Krise nur zusätzlich anheizen und verlängern; eine Beendigung der Währungsunion wäre das Ende des europäischen Projekts und würde zu einem durch niemand und nichts mehr zu beherrschenden Chaos führen; den Schritt voran in die echte wirtschaftliche und politische Integration trauen sich die gegenwärtig politisch Verantwortlichen nicht zu, weil sie meinen, ihre Völker nicht hinter sich bringen zu können.

Vieles spricht also für eine Mischung von Option eins und zwei, die dann, wenn der europäische Karren bereits mit zwei Rädern über dem Abgrund hängt, Option drei erzwingen werden, weil der gemeinsame Blick in den Abgrund heilsame Kräfte entfalten könnte - Konjunktiv, wohlgemerkt! Denn als genauso wahrscheinlich könnte sich die reine Chaosoption samt Sturz in den Abgrund erweisen.

Das Abwarten und Aussitzen der Krise allerdings hat sichtbar negative Konsequenzen. Nicht nur nimmt das Misstrauen der Öffentlichkeit angesichts der Passivität der gewählten Führungen eine das europäische Projekt bedrohende Dimension an, sondern die Krise hat sich bis zu den tragenden Fundamenten der europäischen Nachkriegsordnung durchgefressen. Dabei waren diese die Garantie für eine beispiellose Friedens- und Prosperitätsgeschichte unseres Kontinents: die transatlantische und die deutsch-französische Partnerschaft.

Der Druck der Finanzmärkte hat nunmehr auch Frankreich erreicht, und diese Gefahr ist mitnichten vorüber. Wenn Frankreich durch diesen Druck in die Knie gezwungen würde, und wenn die Bundesrepublik Deutschland dann nicht mit all ihren Möglichkeiten unverbrüchlich an der Seite ihres Partners stünde, dann wäre die Katastrophe für Europa vollendet.

Freilich setzt diese Dynamik schon sehr viel früher ein, denn Frankreich kann und wird nicht auf den Mittelmeerraum verzichten. Und insofern gefährden all die Ausstiegsphantasien der reichen Nordeuropäer (vorneweg jene der Deutschen) gegenüber den Krisenländern der südlichen Peripherie nichts Geringeres als diese tragende Säule der europäischen Friedensordnung, nämlich die deutsch-französische Partnerschaft. Es ist ein Spiel mit dem Feuer.

Auf der anderen Seite des Atlantiks droht Amerika ebenfalls in einer politischen Krise zu versinken. Die USA werden, bedingt durch die Krise der öffentlichen Haushalte und durch das schwache Wirtschaftswachstum, dazu gezwungen werden, ihr globales militärisches Engagement zurückzufahren. Zudem werden sie sich mehr dem Pazifik als dem Atlantik zuwenden.

Auf uns Europäer mit unserer unruhigen Nachbarschaft im Osten und Süden kommt damit eine zusätzliche sicherheitspolitische Herausforderung zu, für die wir weder materiell noch intellektuell vorbereitet sind. Und die militärische Schwäche Europas trägt bereits heute zur Erosion der transatlantischen Beziehungen ganz erheblich bei.

Darüber hinaus aber entsteht aus der gegenwärtig sichtbar werdenden neuen Weltordnung eine zusätzliche Gefahr für das transatlantische Bündnis. Die kommenden Jahre, ja Jahrzehnte werden geprägt sein durch den amerikanisch-chinesischen Dualismus, der mit der zunehmenden Stärke Chinas und der anhaltenden Schwäche der USA sich zunehmend aggressiver aufladen wird.

China wird versuchen, Europa in dieses neue globale Spiel mit einzubeziehen, ja es hat damit bereits begonnen. Die letzte Reise von Wen Jiabao durch die Krisenländer der EU-Peripherie hat dies eindrucksvoll demonstriert. Der reiche Onkel aus Fernost bot Kredite und großzügige Hilfe an und wollte dafür langfristigen Einfluss.

Diesmal wird es nicht mehr Russland sein, auf das solche Illusionen zielen werden, denn Russland wird außer Rohstoffen eben nur Illusionen zu bieten haben. Nein, diesmal wird die Verführung für zumindest Teile Europas von China ausgehen, das die Bedeutung Europas in seinem geopolitischen Spiel mit und gegen die USA wohl verstanden hat.

Auch hier muss Europa zweifelsfrei zu seinem transatlantischen Partner stehen, wenn es sich nicht in große Gefahr bringen will. Wir Europäer sollten deshalb alles tun, um eine Erosion unserer tragenden Fundamente zu unterbinden - und endlich ein starkes, vereinigtes Europa schaffen.

Joschka Fischer (Grüne) war von 1998 bis 2005 deutscher Außenminister und Vizekanzler.

© SZ vom 01.09.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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