Jordanien:Journalisten mit Maulkorb

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Im Westen gerne gesehen: Das jordanische Königspaar, Königin Rania und König Abdullah. (Foto: Saeed Khan/Pool/picture alliance / dpa)

Erst das Verbot einer Gewerkschaft, dann Notstandsgesetze, die die Presse unter Druck setzten: Die Regierung Jordaniens schränkt die Freiheitsrechte ein.

Von Dunja Ramadan, München

Pick-ups, die abrupt halten, Männer in Zivil, die Demonstranten zusammentreiben und mitnehmen. Es sind Szenen, die sich auf den Straßen des Nahen Ostens schon mal abspielen können. Doch in Jordanien, dem haschemitischen Königreich, sind es ungewöhnliche, wenn nicht besorgniserregende Bilder. Der im Westen gerne gesehene König Abdullah und seine Ehefrau Königin Rania gelten als besonnene Vermittler in einer krisengeplagten Region. In den vergangenen Wochen wurden allerdings Dutzende Lehrerinnen und Lehrer inhaftiert, seit Ende Juli sitzen die 13 Anführer der mittlerweile verbotenen Lehrergewerkschaft im Gefängnis. Videos zeigen, dass die Verhaftungen wohl nicht immer rechtskonform abliefen. Auf die Frage, ob denn ein Haftbefehl vorliegt, antwortet ein Offizier, der das Gewerkschaftsbüro in Karak schließen ließ: "Ich bin der Befehl." Für viele Jordanier stehen solche Szenen für eine neue Willkür, die im Königreich um sich zu greifen scheint.

Die Lehrergewerkschaft gilt mit ihren circa 100 000 Mitgliedern als größte Oppositionsgruppe des Landes. Für zwei Jahre ist ihre Tätigkeit nun auf Eis gelegt. Die Organisation ist eine Errungenschaft des sogenannten Arabischen Frühlings, der 2011 weite Teile der arabischen Opposition auf die Straße trieb. Heute gibt sie der wütenden Mittelschicht, die unter den hohen Lebenshaltungskosten ächzt, eine Stimme: Lehrer verdienen in Jordanien rund 500 Euro. Sie forderten bereits im vergangenen Jahr eine Gehaltserhöhung von 50 Prozent und legten mit ihrem landesweiten Streik die Schulen für einen Monat lahm. Die Regierung schloss daraufhin einen Tarifvertrag mit der Gewerkschaft ab, der als "historische Vereinbarung" gefeiert wurde. Diese sah eine Gehaltserhöhung von 35 bis 75 Prozent vor, je nach Erfahrung und Dienstgrad des Lehrpersonals.

Das Königreich galt bislang als offenes Land in der Region - das scheint sich nun zu ändern

Doch als die Regierung die Lohnerhöhung im vergangenen April im Zuge der Corona-Krise einfrieren ließ, flammten neue Proteste auf. Diesmal reagierte die Regierung mit harter Hand und nutzte das sogenannte Verteidigungsrecht, das seit Ende März gilt, um gegen die Köpfe der Organisation vorzugehen. Die Regierung wirft ihnen finanzielle Unregelmäßigkeiten und Volksverhetzung vor.

Bislang galt Jordanien als vergleichsweise offenes Land in der Region, in dem Oppositionelle und Journalisten Kritik am Königshaus und an der Regierung üben konnten - ohne die Sorge zu haben, dafür verfolgt zu werden. Seit den Verhaftungen haben jordanische Behörden allerdings eine Nachrichtensperre verhängt. Human Rights Watch kritisiert in einem am Dienstag veröffentlichten Bericht, dass sowohl die Arbeit von inländischen als auch von ausländischen Journalisten zunehmend behindert werde. Ein Mitarbeiter einer deutschen Stiftung in Amman, der aus Sorge vor möglichen Konsequenzen nicht namentlich genannt werden möchte, sagt der SZ am Telefon, Jordanien sei über Nacht zu einem Polizeistaat geworden. Die "unwahrscheinliche Machtfülle" des Ministerpräsidenten Omar al-Razzaz habe der König, der die Notstandsgesetze erlassen hat, erst ermöglicht. Offenbar fürchtete das Königshaus weitere Proteste mit Blick auf die ökonomische Krise, die sich mit Corona wohl nur noch verschärfen wird. "In normalen Zeiten hätte das Verbot der Lehrergewerkschaft das ganze Land auf die Straße getrieben", sagt der Mitarbeiter der Stiftung. Derzeit sind Demonstrationen verboten.

Auch die Auflösung des jordanischen Ablegers der Muslimbruderschaft, die ein Gericht in Amman Mitte Juli erlassen hat, hätte in normalen Zeiten wohl größere Proteste zur Folge. Die Organisation habe es versäumt, ihren "rechtlichen Status zu korrigieren", so die Begründung. Die Muslimbruderschaft, die mit 16 von 130 Sitzen im Parlament vertreten ist, kündigte an, Berufung einzulegen. Seitdem versuchen Anhänger der Regierung, das harte Vorgehen gegen die Gewerkschaft zu verteidigen. So sei das Durchgreifen im Licht des regionalen Kampfes zwischen arabischen Königshäusern und der Muslimbruderschaft zu verstehen.

Zwar hat ein Drittel des verhafteten Führungskreises der Lehrergewerkschaft einen Bezug zur Muslimbruderschaft, doch Experten sehen in ihr lediglich eine von mehreren Kräften. Die Organisation setzt sich aus weiten Teilen der jordanischen Gesellschaft zusammen und vereint Mitglieder aus dem städtischen, ländlichen, palästinensischen und transjordanischen Milieu.

© SZ vom 20.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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