Jerusalem:Israel und Palästina nehmen die Eskalation in Kauf

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Israelische Soldaten schießen in Jerusalem mit Tränengas in Richtung palästinensischer Demonstranten. (Foto: dpa)

Israelis wie Palästinenser kannten die Risiken: Dennoch wurden am Tempelberg Scanner aufgestellt und der Volkszorn geschürt. Wie kommt der Protest wieder unter Kontrolle?

Kommentar von Moritz Baumstieger

Zwei israelische Polizisten wurden von drei Attentätern auf dem Tempelberg erschossen - mit Pistolen, die sie zuvor eingeschmuggelt hatten. Auf den heimtückischen Angriff reagierten die Behörden so, wie es im Hochsicherheits-Land Israel nur logisch erscheint: Die Zugänge zur Al-Aksa-Moschee wurden mit Metalldetektoren gesichert.

Sicherheitsschleusen gehören in Israel zum Alltag. An Flughäfen, aber auch an Eingängen zu Einkaufszentren und Busbahnhöfen wird kontrolliert, sogar vor Restaurants und Kneipen. Und jeder Jude, der 20 Meter unter dem Tempelberg an der Klagemauer beten möchte, muss sich durchleuchten lassen - wie übrigens auch jeder Muslim, der die Kaaba in Mekka besucht.

Doch auch die palästinensische Seite reagiert, wie es ihr nur logisch erscheint: Sie empfindet die Detektoren als neuerlichen Beleg für Willkür. Aus ihrer Sicht dienen israelische Checkpoints nur angeblich der Sicherheit. Oft werden sie stundenlang geschlossen und machen Tempelberg oder Jerusalem selbst unerreichbar für Palästinenser aus dem Umland. Es mag nach einer kruden These klingen, dass Israel versucht, den Tempelberg Schritt für Schritt unter seine Kontrolle zu bringen, bis es allein entscheidet, wer wann hierher darf. Die Vorstellung aber passt perfekt in die Erfahrungswelt vieler Palästinenser.

Zehn Tage nach der Pistolenattacke haben beide Seiten also vermeintlich logisch reagiert, aus einem Zwischenfall ist eine Krise geworden: Ein halbes Dutzend palästinensischer Jugendlicher starb bei Protesten in Jerusalem und dem Westjordanland, Hunderte wurden verletzt. Und ein verblendeter junger Mann dachte, er würde sein Volk und die Al-Aksa-Moschee retten, wenn er drei Siedler mit einem Messer abschlachtet.

Die Erfahrung von Politikern in der Region hätte ausreichen sollen, um die Eskalation vorherzusehen. Israels Premier Benjamin Netanjahu wurde von seinem Geheimdienst gewarnt. Und er wurde darüber informiert, dass Kontrollposten der Sicherheit eher abträglich sind, wenn sich nach dem Ruf zum Gebet binnen Minuten Tausende Gläubige vor der Sperre drängen. Netanjahu ignorierte den Rat, vielleicht um nicht zu schwach zu erscheinen im Wettstreit mit seinem ultrarechten Kontrahenten am Kabinettstisch, Naftali Bennet.

Aber auch Palästinenserpräsident Mahmud Abbas wusste, welche Register er bedient, wenn er einen "Tag des Zorns" ausruft. Er wusste, dass in aufgeheizter Atmosphäre jede Demonstration in Gewalt umschlagen würde. Auch er versucht, mit der Krise innenpolitisch zu punkten, weil er der radikalislamischen Hamas nicht alleine den Widerstand überlassen will.

Sinnvoll erschiene es da, wenn beide Seiten gemeinsam nach einer Lösung suchten. Netanjahu und Abbas entscheiden sich jedoch für das Gegenteil: Der eine beharrt auf den Detektoren, der andere bricht die Beziehungen zu Jerusalem ab. Und so wird die Eskalation immer nur weitergehen. Im schlimmsten Falle bis hin zu einer neuen Intifada.

© SZ vom 24.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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