Japan:Unscharfe Argumente

Lesezeit: 2 min

Warum japanische Unternehmen Frauen die Brille verbieten.

Von Thomas Hahn

Die Nachricht vom japanischen Brillenverbot für weibliche Angestellte erzeugte erst Unglaube, dann Empörung. Und wie das oft so ist bei Debatten in sozialen Netzwerken, meldeten sich bald auch Nutzer mit persönlichen Erfahrungen. Zum Beispiel eine Sommelière, die bei Engagements in diversen traditionellen japanischen Restaurants ihre Brille auch nicht hatte aufsetzen dürfen. Drei Gründe seien ihr dafür genannt worden: Brille und Kimono passten einfach nicht zusammen. Gäste über die Ränder einer Brille zu betrachten, sei unhöflich. Und: Die Brille könne ins Essen fallen.

Die Frauenbewegung hat in den vergangenen Jahrhunderten schon viele und vor allem viel schlimmere Zumutungen ertragen müssen. Für Anhängerinnen und Anhänger der Gleichstellung muss es sich trotzdem angefühlt haben wie eine Ohrfeige aus der Steinzeit, als der Sender Nippon TV vergangene Woche vom Kontaktlinsengebot in manchen japanischen Unternehmen berichtete. Die Erklärungen der Unternehmen machten wenig besser.

Schönheitssalons zum Beispiel wollen, dass die Kundschaft einen unverstellten Blick auf das Make-up der Mitarbeiterinnen hat. Für Hotel- und Ladenbesitzer strahlen Brillenträgerinnen am Empfang einen Ausdruck von Kühle aus. Das Protestkonto auf Twitter unter dem Hashtag "Brillen verboten" hatte schnell viele Anhänger. Internationale Medien berichteten. Kumiko Nemoto, Soziologie-Professorin aus Kyoto, sagte im britischen Sender BBC, das Brillenverbot ergebe keinen Sinn: "Es geht nur ums Geschlecht. Ziemlich diskriminierend."

Japans Wirtschaft wird sich wohl ändern müssen. Sie braucht die Frauen auf dem Arbeitsmarkt, weil die Bevölkerung schrumpft. Und es fällt auf, dass sich der männerdominierte Firmen-Adel schwertut, sein Frauenbild zu überarbeiten. Im jüngsten Gleichstellungsreport führt das Weltwirtschaftsforum Japan auf Platz 110. Und die Frauen werden lauter.

Die Erregung um das Brillenverbot ist nicht die erste ihrer Art. Die Standards für das weibliche Äußere regen viele Frauen schon lange auf. Sie wollen sich nicht mehr festlegen lassen auf schwarze Haare und Make-up. Viel Zuspruch erntete dieses Jahr die Schauspielerin und Schriftstellerin Yumi Ishikawa mit ihrer Kampagne gegen die Stöckelschuh-Pflicht. Bei einem Job bekam sie mit, wie rücksichtslos das Recht der Frau auf freie Schuhwahl in Japan eingeschränkt wird. Mit ihrer #KuToo-Bewegung, abgeleitet von der Frauenrechtskampagne #MeToo sowie den japanischen Worten "kutsu" (Schuh) und "kutsuu" (Schmerz), sammelte sie mehr als 21 000 Unterschriften. Es reichte zu einer Petition, die dann aber beim damaligen Arbeitsminister Takumi Nemoto auflief. Der sagte: "Es ist allgemein akzeptiert, dass Stöckelschuhe notwendig und an Arbeitsplätzen vernünftig sind."

Darüber wird zu streiten sein, zumindest von jenen Japanerinnen, die streiten wollen. Wie viele das genau sind, ist schwer zu sagen. Einzelne finden jedenfalls schon, dass man nicht mehr um jede Brille und jedes ungefärbte Haar einzeln kämpfen sollte. "Lasst es uns umfassend angehen", schreibt eine auf Twitter. Hashtag: "Sagt-uns-nicht-was-wir-tragen-sollen".

© SZ vom 12.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: