Gleichberechtigung:Zum Fortschritt verdammt

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Erstmals werden mehr Frauen Medizinerinnen - was das über die Chancengleichheit in Japan aussagt.

Von Thomas Hahn, Tokio

Die Leistungen von Frauen und Männern gegeneinander aufzurechnen, bringt wenig im Kampf um die Gleichstellung. Dazu sind viele Männer wohl viel zu schlechte Verlierer. Trotzdem wollte das japanische Bildungsministerium das historische Ergebnis bei den Aufnahmeprüfungen der 81 staatlichen und privaten Medizin-Universitäten auf keinen Fall für sich behalten. Erstmals erreichten nämlich die Bewerberinnen eine höhere Aufnahmequote als die Bewerber. 13,6 Prozent der Frauen bestanden die strengen Tests, nur 13,51 Prozent der Männer. Das Magazin Nikkei Asia feierte einen "entscheidenden Moment in der Geschichte der japanischen Medizinausbildung".

Oder doch eher eine verspätete Erkenntnis? Ganz sicher kann jedenfalls niemand wissen, ob die Medizin-Aspirantinnen nicht auch früher schon besser waren. Denn über viele Jahre hinweg haben diverse Medizin-Universitäten in Japan die Ergebnisse von Aufnahmeprüfungen manipuliert, damit nicht zu viele Frauen in die männerdominierte Medizin einsteigen. Der Skandal kam 2018 heraus und ließ tief in die Abgründe des japanischen Machismo blicken.

Das Land hinkt in Sachen Gleichstellung hinterher. Traditionell hat die Frau die Rolle der Familienmanagerin, die jeden Wunsch des Mannes duldet. Dass das so nicht weitergehen kann, sieht selbst die rechtskonservative Regierung in Tokio so - wenn auch nicht unbedingt aus Sorge um die Frauenrechte. In der überalterten Gesellschaft müssen die Japanerinnen vielmehr helfen, den Arbeitskräftemangel aufzufangen.

Der Anteil der berufstätigen Frauen ist zwar stark gestiegen seit den 1990ern. Allmählich klettern sie auch auf Führungsposten. Japans mächtiger Gewerkschaftsbund etwa hat seit Oktober erstmals eine Präsidentin. Aber gerade Tomoko Yoshino, einst Angestellte einer Nähmaschinenfirma, kennt die Schwierigkeiten. "Der Fortschritt ist extrem langsam", sagte sie nach ihrem Amtsantritt.

Nach Regierungsdaten haben Japanerinnen seltener feste Fulltime-Jobs. Auch in Parlamenten und Vorständen sind sie stark unterrepräsentiert. Im jüngsten Gender-Gap-Report des Weltwirtschaftsforums belegt Japan Platz 120. Und der besagte Medizin-Skandal von 2018 gilt bis heute als Musterbeispiel der unfairen Männerwirtschaft.

An der privaten Tokyo Medical University gab es damals eine interne Überprüfung zum Verdacht, ein Bürokraten-Sohn sei bevorzugt worden. Dabei kam dann der viel größere Skandal heraus: Mindestens seit 2006 hatte man bei Aufnahmetests die Ergebnisse der ersten Stufe erst für alle um 20 Prozent abgewertet - und dann männlichen Bewerbern mindestens 20 Punkte zugeschlagen. Man habe befürchtet, zu viele Frauen könnten schwanger werden und nicht im Gesundheitsberuf bleiben. Später enthüllte das Bildungsministerium, an insgesamt zehn Universitäten sei man ähnlich vorgegangen.

Seither berichtet das Ministerium jedes Jahr, welches Geschlecht wie bei den Medizin-Aufnahmetests abgeschnitten hat. Und nun sind also offiziell erstmals die Frauen vorne. Ein klares Signal: Mehr Ärztinnen kommen - Japans Politik muss zusehen, dass sie Familie und Beruf in Zukunft vereinbaren können.

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