Japan:Ernste Spiele

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Eigentlich wollte Premier Shinzo Abe das Land in diesem Jahr im Rampenlicht der großen Weltbühne inszenieren. Nun räumt er zum ersten Mal ein, dass Olympia doch nicht wie geplant stattfinden kann.

Von Thomas Hahn, Tokio

Die Olympia-Effekte müssen wettmachen, was Japans Wirtschaft verloren hat. Dass die Spiele nun gar nicht stattfinden, kann sich das Land nicht leisten. (Foto: Tomohiro Ohsumi/Getty)

Shinzo Abe meint es ernst mit seinen Spielen. So ernst, dass der japanische Premierminister zuletzt ein bisschen verzweifelt wirkte, wenn es um die Olympischen und Paralympischen Spiele ging, die dieses Jahr in Tokio stattfinden sollen. Als US-Präsident Donald Trump neulich anregte, Olympia wegen der Coronavirus-Krise um ein Jahr zu verschieben, konnte Abe das nicht auf sich beruhen lassen. Er rief Trump an, bat um mehr Zuspruch und wurde bald daraufhin mit salbungsvollen Twitter-Nachrichten bedacht ("Er hat einen unglaublichen Job gemacht"). Und nach einer Videokonferenz mit den anderen G7-Regierungschefs berichtete Abe Reportern, dass er die Kollegen auf seine Seite gebracht habe, um mit seinen unveränderten Sportfesten zu zeigen, "dass die Menschheit das Virus besiegen" könne.

Tapfer oder weltfremd? Seit Montag stellt sich die Frage im Grunde nicht mehr, denn da hat der rechtskonservative Shinzo Abe zum ersten Mal eingeräumt, dass die Sommerspiele wegen der Pandemie mit derzeit Tausenden von Toten in Europa nicht zur geplanten Zeit stattfinden können. "Wenn es schwierig ist, die Sommerspiele im geplanten Format abzuhalten, werden wir keine andere Wahl haben, als sie zu verschieben", sagte Abe im Haushaltskomitee des Oberhauses.

Für Abe ist es ein strategisches Mittel, um Japan ins Rampenlicht der Weltgemeinschaft zu rücken

Es gibt wichtigeres in diesen Zeiten als ein unterhaltsames Weltsportfest für den globalen Fernsehmarkt, könnten manche sagen. Aber für Abe sind die Sommerspiele dieses Jahres nicht nur irgendein lustiges Event. Sie sind ein strategisches Mittel, um Japan ins Rampenlicht der Weltgemeinschaft zu rücken. Sie sollen eine Bühne für Japans Innovationsindustrie werden und neun Jahre nach dem verheerenden Ostjapan-Erdbeben mit Tsunami und Nuklearkatastrophe in Fukushima auch die Moral des Landes inszenieren. Außerdem braucht er die Spiele, weil seinem Wachstumskonzept "Abenomics" nach Jahren des sachten Erfolges die Luft ausgeht. Schon Ende 2019 war klar, dass die Olympia-Effekte wettmachen müssen, was Japans Wirtschaft an abflauende Weltkonjunktur und die Mehrwertsteuererhöhung vom vergangenen Oktober verloren hat.

Da kann man schon verstehen, dass Shinzo Abe auf eine schnelle Weltgenesung hoffte und auch noch mit felsenfester Überzeugung von unangefochtenen Spielen sprach, als in Europa plötzlich die Infektionszahlen in die Höhe schossen. Zumal Japan auf den ersten Blick zu den Coronavirus-Musterländern zählt. Allerdings wirklich nur auf den ersten Blick: So dosiert lässt das Gesundheitsministerium Patienten testen, dass der Inselstaat vorerst nur 1098 bestätigte Infektionen (41 Tote) aufweist. Zum Vergleich: Italien hat fast drei Mal so viele bestätigte Infektionen (59138) wie Japan Tests durchgeführt hat (20228).

Aber mittlerweile kann selbst Shinzo Abe nicht mehr auf Plan A beharren. Die Ereignisse in Europa und Amerika sind zu dramatisch. Sportler und Verbände fordern die Verlegung. Kanadas Olympisches Komitee drohte mit Boykott, falls alles beim Geplanten bliebe. Australiens Funktionäre raten ihren Athletinnen und Athleten, sich auf Olympia 2021 vorzubereiten. Und am Sonntagabend erklärte der Vorstand des Internationalen Olympischen Komitees endlich, dass man binnen vier Wochen eine Entscheidung fällen werde, wie und wann man die Weltjugend des Sports in Tokio zusammenbringen werde. Spätestens da war klar, dass auch Japans Regierungschef nachgeben musste.

Es sind schwierige Zeiten für Politiker in Verantwortung. Manche profilieren sich dabei. Shinzo Abe scheint eher zu verlieren. In der Corona-Krise war er anfangs wenig zu sehen. Seine Regierung erntete Kritik im In- und Ausland für ihr Quarantäne-Management des Kreuzfahrtschiffes Diamond Princess in Yokohama mit anfangs 3700 Menschen an Bord. Abes Umfragewerte sanken. Mit dramatischen Auftritten versuchte er, die Nation wieder hinter sich zu bringen. Er warb überraschend für Schulschließungen im ganzen Land, obwohl gar nicht jede Präfektur Covid-19-Fälle hatte, versprach Hilfspakete, erweiterte publikumswirksam die Notstandsgesetze. Das kam nicht nur schlecht an. Aber es gab auch Kopfschütteln. Abe, der begabte Populist, war wieder am Werk.

Und mit seinen Olympischen Spielen hat er jetzt einfach Pech. Im vergangenen Jahr zerrupfte ein Taifun das Programm der Rugby-WM, die ebenfalls Tourismus und Japan-Image stärken sollte. Jetzt kommt die Pandemie dazwischen. 12,6 Milliarden Dollar haben die Vorbereitungen auf die Sommerspiele gekostet - nach offiziellen Angaben; Analysten halten die Zahl für stark untertrieben. Nationale Unternehmen haben sich mit 3,3 Milliarden US-Dollar an dem Ereignis beteiligt. Neue Prachtbauten sind in Tokio entstanden. Provisorische Arenen sind gerade im Bau. Ein Mammut-Unternehmen wird wohl bald bei voller Fahrt anhalten müssen, um in ein oder zwei Jahren wieder Tempo aufzunehmen.

Schon kursieren die Summen, die ein neuer Zeitplan kosten würde. Eine Verschiebung um ein Jahr oder mehr würde drei Billionen Yen (25 Milliarden Euro) kosten laut Toshihiro Nagahama, dem Chef-Ökonom eines privaten Instituts für Wirtschaftsforschung. Katsuhiro Miyamoto, emeritierter Professor der Kansai-Universität, rechnet für ein Jahr Aufschub mit 640,8 Milliarden Yen (fünf Milliarden Euro). Die Kosten für eine Absage sieht er bei über 4,5 Billionen Yen (38 Milliarden Euro).

"Eine Absage steht nicht zur Debatte", hat Shinzo Abe am Montag versichert. Und diesmal darf die Ansage nicht nur eine gespielte Überzeugung sein. Dass die Verlegung nötig ist, sieht in diesen Tagen selbst der intimste Olympiafreund ein. Zumal die Pandemie manche Weltregionen noch gar nicht richtig erfasst hat. Aber dass die Olympischen Spiele gar nicht stattfinden, kann sich Shinzo Abes Japan schlicht und ergreifend nicht leisten.

© SZ vom 24.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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