Japan:Eine nachdrückliche Bitte

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Eine seltsam wechselhafte Geschichte: Japans Regierungschef Abe – hier auf einem Plakat – hat lange mit Maßnahmen gezögert. (Foto: Tomohiro Ohsumi/Getty)

Lange zierte sich die Regierung, doch nun ruft Premier Abe in sieben Präfekturen den Notstand aus. Ein strenger Lockdown wie in Europa oder USA soll es aber nicht werden.

Von Thomas Hahn, Tokio

Die Kreuzung von Shibuya ist wie verwandelt. Wenn die Ampel auf Grün schaltet, eilen hier normalerweise Tausende Menschen gleichzeitig über die Zebrastreifen zwischen Bahnhof und Einkaufsmeile. Die Scramble Kousaten ist einer der lebendigsten Orte Tokios, ein Anziehungspunkt für Fremde und Einheimische. Aber jetzt? Nur vereinzelt spazieren Leute über die sich kreuzenden Straßen. Drüben steht kaum beachtet das Denkmal des treuen Hundes Hachiko, um den sich sonst die fotografierende Masse drängt. Auf dem Bildschirm einer Hochhausfront erscheint zwischen Werbespots und J-Pop-Einspielungen die mahnende Gouverneurin Yuriko Koike mit dem Gebot der Coronaviruszeit: Abstand halten. Das Übliche.

Und so wird es erst mal bleiben. Denn zehn Tage nachdem Gouverneurin Koike ihre Bürger dazu aufgerufen hat, wegen deutlich steigender Infektionszahlen am Wochenende zu Hause zu bleiben, hat nun auch der Premierminister reagiert. Shinzo Abe hat am Montag erklärt, er wolle für sieben Präfekturen den Notstand ausrufen: für Kanagawa, Saitama, Chiba, Osaka, Hyogo, Fukuoka und eben für Tokio. Grundlage ist ein Gesetz, das Abe kürzlich eigens für den Kampf gegen das neuartige Coronavirus durch das Parlament gebracht hat. "Die Erklärung soll etwa einen Monat gelten", sagte Abe, sie solle die medizinische Versorgung sichern und bewirken, dass "die Öffentlichkeit noch mehr dabei hilft, soziale Kontakte zu vermeiden und Infektionen so weit wie möglich zu reduzieren".

Einige Mediziner zweifelten schon früh an den Infektionszahlen

Eine Überraschung ist Abes Vorstoß nicht mehr gewesen. Trotzdem ist er der vorläufige Höhepunkt einer japanischen Coronavirus-Geschichte, die seltsam wechselhaft wirkt. Diese Geschichte begann nicht sehr lange nach dem Ausbruch des Virus in der chinesischen Stadt Wuhan. Japan und China pflegen rege Kontakte, viele chinesische Touristen kommen ins Land. Und sie kamen auch noch, nachdem Japans Regierung zunächst nur eine Einreisebeschränkung für Menschen aus Wuhan und der Provinz Hubei verhängt hatte.

Kritischen Medizinern kamen die japanischen Infektionszahlen deshalb schon früh zu niedrig vor. Sie kritisierten die wenigen Tests der Behörden. Aber vom Geschehen im Inselstaat lenkte der Umstand ab, dass Japans Gesundheitsministerium das Kreuzfahrtschiff Diamond Princess mit anfangs 3700 Menschen in Yokohama unter Quarantäne gesetzt hatte und dabei die Ausbreitung des Virus an Bord nicht verhindern konnte.

Während Südkorea, ebenfalls ein Nachbar Chinas, mit einem mächtigen Testprogramm die Tiefen der Gesundheitskrise auslotete, schien Japan eher an der Oberfläche zu bleiben. Früh setzten erste Vorsichtsmaßnahmen ein, Absagen von Großveranstaltungen, Schließungen. Zwischendurch verzeichnete die Präfektur Hokkaido steil ansteigende Fallzahlen, aber nach drei Wochen der Selbstbeschränkung durften die Menschen wieder auf die Straße. Abe wiederum legte der Nation Schulschließungen nahe, welche dann auch fast alle Präfekturen bewerkstelligten. Gleichzeitig warb der rechtskonservative Premier mit eisernem Optimismus und trotz Athletenprotesten für die Olympischen Spiele, die im Sommer in Tokio stattfinden sollten.

Aber am 23. März stand die Verlegung der Spiele wegen der Pandemie fest. Und als habe diese Nachricht das Coronavirus in Japan geweckt, stiegen plötzlich die Infektionszahlen, vor allem in Tokio - auch durch Einreisende aus Europa und Amerika, wie es vonseiten der Behörden hieß. Yuriko Koike hatte ihre Auftritte. Geschäfte veränderten ihre Öffnungszeiten. Parks für Kirschblütenbetrachter wurden gesperrt. Es wurde ruhiger denn je in Tokio. Satoshi Kamayachi, Vorstandsmitglied des Japanischen Medizinerverbandes und Mitglied eines Berater-Gremiums, sagte: "Ich persönlich habe das Gefühl, es wird Zeit für eine Notstandserklärung."

Und jetzt ist sie also da. Abe legt Wert darauf, dass ein japanischer Coronavirus-Notstand nicht zu einem strengen Lockdown führe wie in einigen amerikanischen und europäischen Städten. Die Bitte, zu Hause zu bleiben, hat jetzt mehr Nachdruck. Gouverneure können die Schließungen von Schulen, Läden oder Kinos nahelegen. Aber vieles war zuletzt ohnehin schon zu. Die Leute folgten den Ansagen. Ein großer Unterschied ist nicht zu erwarten.

Dafür ist der Ehrgeiz der Regierung in der Coronavirus-Bekämpfung neu. Am 25. März stand Japan noch bei 1299 bestätigten Infektionen mit 44 Todesfällen bei 23 521 Tests insgesamt. Am Montagabend zählte Japan 4041 Infektionen sowie 108 Todesfälle. Und Shinzo Abe gab bekannt, dass von nun an nicht mehr nur an der Oberfläche nach Covid-19-Patienten geschürft werde. 20 000 Tests sind geplant, pro Tag.

© SZ vom 07.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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