Japan:Alles wie bei Abe

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Aus den Händen von Kaiser Naruhito (l.) nimmt der neue Premier Japans Yoshihide Suga seine Ernennungsurkunde entgegen. Auch der zurück getretene Premier Shinzo Abe (Mitte) nimmt an der Zeremonie teil. (Foto: AFP)

Der neue Premier Suga übernimmt ein großes Ziel: eine Verfassung, die das militärische Selbstbewusstsein zeigt.

Von Thomas Hahn, Tokio

Am Mittwoch nahm Yoshihide Suga die letzten Etappen auf dem Weg ins höchste Regierungsamt des Inselstaates Japan. Wahl im Unterhaus. Wahl im Oberhaus. Vereidigung. Fortan ist der 71-Jährige also das, was er angeblich bis vor Kurzem gar nicht werden wollte: Premierminister anstelle des Premierministers Shinzo Abe, dem er fast acht Jahre lang als Kabinettschefsekretär treue Dienste leistete. Der Adjutant führt das Land, so kann man es auch sagen nach Abes gesundheitsbedingtem Rücktritt. Der Sohn eines Erdbeerbauern aus Akita leitet jetzt die drittgrößte Volkswirtschaft der Erde durch die weite Weltpolitik. In Tokio, wo man Abkömmlinge von Politiker-Familien in hohen Ämtern gewohnt ist, fällt das auf. Und im Ausland hofft mancher auf mehr Milde durch den Premierminister aus dem Volk.

Yoshihide Suga hat nicht viel außenpolitische Erfahrung, aber darin könnte auch eine neue Chance liegen. So hat wohl Südkoreas Präsident Moon Jae-in gedacht, als er Suga in einem Glückwunschbrief den gut gemeinten Vorschlag schickte, gemeinsam an einem besseren Verhältnis zu arbeiten. Aber ob Suga sein fehlendes Profil als Außenpolitiker wirklich mit mehr Verständnis für Südkorea ausgleicht? Möglicherweise sogar mit einem selbstkritischeren Blick auf Japans Vergangenheit als Besatzungsmacht und Kriegsaggressor?

Es gibt keinen Hinweis darauf, dass Suga irgendetwas anders machen möchte als Shinzo Abe. Abes Außenpolitik wiederum war einerseits sehr umtriebig und ausgleichend. Im Dienste der nationalen Wirtschaftsinteressen verbesserte er sogar das Verhältnis zu China. Er pflegte seine Freundschaft zu US-Präsident Donald Trump, näherte sich Russland an, schmiedete mit der EU das Freihandelsabkommen EPA. Es ist auch kein Zufall, dass Großbritannien sein erstes großes Post-Brexit-Handelsabkommen mit Japan abschloss.

Andererseits waren Abes diplomatische Leistungen geprägt von seiner rechtsnationalen Gesinnung. Vor allem Südkoreas liberale Regierung mochte er nicht, weil diese die Aussöhnung mit der Atommacht Nordkorea betreibt und Japan die Zwangsprostitution koreanischer Frauen aus der Besatzungszeit vorhält. Seit einem Urteil des Obersten Gerichtshofs in Seoul, wonach koreanischen Zwangsarbeitern aus dem Zweiten Weltkrieg Entschädigungen aus Japan zustehen, ist das Klima frostig. Japan findet, dass solche Ansprüche durch ein Abkommen von 1965 abgegolten seien. Suga vertrat diese Haltung als Kabinettssprecher kompromisslos. Er wird sie kaum ändern, zumal er Abes Außenminister Toshimitsu Motegi übernommen hat.

Längst hat sich Suga dazu bekannt, Abes großes Ziel weiterzuverfolgen. Abe wollte Japans pazifistische Nachkriegsverfassung so ändern, dass sie die nationalen Selbstverteidigungsstreitkräfte ausdrücklich erlaubt. Seine lange Amtszeit ist davon geprägt, dass er die Verfassung in Verteidigungsfragen bis an die Grenzen ausreizte. China rüstete auf, Nordkorea veranstaltete bedrohliche Raketentests. Also steigerte Abe den Verteidigungsetat, ließ enger mit dem US-Militär zusammenarbeiten, stärkte Allianzen, half dem Militär südostasiatischer Nachbarn. Aber die Verfassung konnte Abe nicht umschreiben. Das soll jetzt Suga gelingen. Und nicht nur das.

Denn kurz vor seinem Rücktritt hat Shinzo Abe ein Zeichen für eine Wende in der japanischen Verteidigungsstrategie gesetzt. Demnach soll Japan in Zukunft zuschlagen können, wenn eine andere Nation einen Angriff vorbereitet. Die Idee stammt aus einer Taskforce der Regierungspartei LDP. Diese sollte über Alternativen nachdenken, nachdem Japans Regierung die Stationierung des US-Raketenabwehrsystems Aegis Ashore aus technischen Gründen abgesagt hatte. Abe findet diese Idee gut, das deutete er noch vor wenigen Tagen öffentlich an. Er stellte infrage, ob Raketenabwehrsysteme wirklich ausreichen, um Japan zu verteidigen. Er glaube, "es ist notwendig, die Abschreckung zu verbessern und dadurch die Möglichkeit eines Raketenangriffs gegen Japan zu verringern." Er bestand darauf, dass Japan damit nicht gegen die Verfassung verstoßen würde.

Das dürften andere anders sehen, zum Beispiel die Partei Komei, der kleine Koalitionspartner der LDP. Experten sehen in dem Vorhaben die Vorlage für ein Wettrüsten im ostasiatischen Raum. Chikako Kawakatsu Ueki, Professorin für internationale Beziehungen und Sicherheit in Ostasien an der Waseda-Universität, sagte der Nachrichtenagentur Kyodo, Japan solle sich weiter auf Raketenabwehrsysteme konzentrieren. Außerdem sei es wichtig, "mit Südkorea, Australien und anderen Ländern zu kooperieren, um eine auf Verteidigung ausgerichtete Welt hervorzubringen, in der Angriffe die Kosten nicht wert sind".

Aber Yoshihide Suga kommt aus Abes Machtzirkel, er dürfte die Idee übernehmen. Und sein neuer Verteidigungsminister erst recht. Der heißt Nobuo Kishi, ist 61 Jahre alt und hatte noch nie einen Kabinettsposten. Dafür ist er der jüngere Bruder von Shinzo Abe.

© SZ vom 17.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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