Janine Wissler:Breite Spur nach oben

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Janine Wissler ist Linken-Fraktionschefin im hessischen Landtag. (Foto: imago/Eibner)

Die Linken-Fraktionschefin im hessischen Landtag bewirbt sich um einen der beiden Chefposten bei der Linken. Sie kommt in allen Parteiflügeln gut an - doch geht mit ihr auch eine Koalition?

Von Boris Herrmann, Berlin

Ende August sitzt Janine Wissler in einem Berliner Café und frühstückt zur Mittagszeit. Vor ihr auf dem Teller liegt, wenn man so will, das Rührei vor dem Sturm. Wenige Stunden später wird ihre Parteifreundin Katja Kipping öffentlich ankündigen, dass sie sich von der Spitze der Linkspartei zurückzieht. Damit ist der Weg für Wissler nach ganz oben nicht unbedingt frei, aber doch ziemlich gut gespurt.

Die Abschiede von Kipping und ihrem Co-Vorsitzenden Bernd Riexinger kamen so wenig überraschend wie Janine Wisslers Ankündigung, sich auf eine der freien Planstellen zu bewerben. Den Gedanken trägt sie seit Monaten mit sich herum. Aber trotz penetranter Nachfragen von allen Seiten hat sie bis zum vergangenen Freitag dichtgehalten - aus Loyalität zur scheidenden Parteispitze. Auch beim Mittagsfrühstück in Berlin lässt sie sich dazu noch kein Wort entlocken. Janine Wissler, vor allem für ihr Redetalent bekannt, kann eben auch sehr gut schweigen, wenn sie will.

Sie spricht stattdessen über das Fan-T-Shirt ihres Vereins Eintracht Frankfurt, das sie unter ihrem Blazer trägt. Oder über ihre Zeit als Fachverkäuferin im Baumarkt. Mit dem Job hatte sie den ersten Teil ihres Studiums finanziert. Der zweite Teil stand schon im Zeichen ihrer Blitzkarriere in der Politik. Wissler, 39, war noch als Politikstudentin in Frankfurt eingeschrieben, als sie in den Bundesvorstand der Linken einzog (2007), Abgeordnete im hessischen Landtag wurde (2008) und Fraktionsvorsitzende (2009). Ihre Diplomarbeit schrieb sie Jahre später im Urlaub.

Die Kandidaturen von Wissler und ihrer thüringischen Kollegin Susanne Hennig-Wellsow haben bei den Linken ein überwiegend positives Echo hervorgerufen. Eine weibliche Doppelspitze, das wäre doch mal ein progressives Signal, heißt es. Wisslers Wahlchancen gelten als sehr gut, einerseits ist sie in den nach linksaußen tendierenden Basisorganisationen bestens vernetzt. Andererseits findet selbst Dietmar Bartsch, Fraktionschef im Bundestag und Anführer des Reformerflügels, dass Wissler eine "herausragende Politikerin" sei.

Außerhalb der Partei wird aber auch vor einer fatalen Signalwirkung gewarnt. Wissler sei radikaler als es den Anschein habe und Gegnerin einer Regierungsbeteiligung im Bund. Die FAZ ist sich bereits sicher, dass man "Grün-Rot-Rot" mit ihr "getrost abhaken" könne. Tatsächlich ist Wissler Mitglied der trotzkistischen Vereinigung "Marx 21", und es gibt einen alten Satz, der ihr nachhängt: "Wir sollten uns nicht der Illusion hingeben, dass wir die Gesellschaft aus den Angeln heben können über Anträge und Reden im Parlament." Sie erklärt ihn heute so: Alle großen Entwicklungen seien von sozialen Bewegungen ausgegangen. Gäbe es etwa die Klimadebatte ohne "Fridays for Future"?

Im Gespräch mit Wissler käme man nicht auf die Idee, es mit einer Gegnerin des Parlamentarismus zu tun zu haben. Der Vorwurf klingt auch deshalb schräg, weil es wenige Menschen unter vierzig in diesem Land geben dürfte, die schon so viele parlamentarische Reden gehalten haben. In einer Datenbank des hessischen Landtags sind 945 Wissler-Reden seit 2008 erfasst. In manchen Sitzungswochen redet sie mehr als andere Abgeordnete im ganzen Jahr. Das schult. Wissler ist wohl die Einzige in der Linkspartei, die rhetorisch in einer Liga mit Sahra Wagenknecht und Gregor Gysi spielt. Zu gewisser Berühmtheit brachte es ihre Rede im November 2019 zum Thema Meinungsfreiheit. In einem Antrag der AfD hatte sie einen nicht unerheblichen Rechtschreibfehler gefunden. Am Mikrofon stänkerte sie dann: "Kleiner Hinweis, weil Ihnen die Bewahrung der deutschen Sprache ja so wichtig ist: Fürsorge schreibt man nicht mit h. Mit Sorgen um den Führer hat das nämlich nichts zu tun."

Auch diese Bissigkeit gegen rechts hat sie zu einer Führungsfigur bei den Linken gemacht - und zu einem Hassobjekt auf der anderen Seite. Sie erhielt Morddrohungen, die mit "NSU 2.0" unterzeichnet waren. Und da hat es ihr tatsächlich zwischenzeitlich die Sprache verschlagen.

© SZ vom 07.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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