Jakarta:Ende der Ruhe

Lesezeit: 4 min

Indonesien hatte den islamistischen Terror nach zahlreichen Abschlägen mit harter Hand eingedämmt. Nun konnten sich die extremistischen Zellen jedoch offenbar neu formieren.

Von Arne Perras

Der UN-Mitarbeiter Jeremy Douglas hat schon einiges mitgemacht, dreieinhalb Jahre war er in Pakistan stationiert. Aber so nah wie am Donnerstagvormittag ist ihm der Terror vorher doch noch nie gekommen. Es ist später Vormittag, als er gerade mit einem Kollegen aus seinem Wagen im Zentrum der indonesischen Hauptstadt Jakarta steigt. Da geht es drüben, vielleicht 100 Meter entfernt, gerade los. Douglas wird in den kommenden Stunden recht viel twittern, weil er ja nicht weit weg ist von diesem schrecklichen Geschehen. Nach dem ersten Schlag schreibt er: "Eine gewaltige Bombe ist hochgegangen vor unserem neuen UN-Büro. Chaos & wir sperren uns ein."

Draußen auf der Straße wird es nun mehrere Stunden lang so zugehen wie in einem Krieg. Es gibt Szenen, die an einen Häuserkampf erinnern. Sieben Menschen sterben bei den Explosionen und Gefechten, mitten im Herzen der Metropole Jakarta. Der Terror ist zurückgekehrt nach Indonesien, das Land mit der größten muslimischen Bevölkerung weltweit. 90 Prozent der Indonesier bekennen sich zum Islam und sind zugleich stolz auf ihren säkularen Staat. Die Extremisten, die sich hier formieren, würden ihn gerne zerschlagen, doch die großen muslimischen Vereinigungen des Landes stemmen sich dagegen, dass militante und radikale Strömungen weiter Fuß fassen können.

Meistens merkt man es Indonesien auch deutlich an, dass es eine ganz andere Welt ist als zum Beispiel das wankende Pakistan. Aber an diesem Vormittag, als Rauchsäulen über der Verkehrsachse Jalan Thamrin aufsteigen, wird doch deutlich: Der moderate Islam ist unter Druck, auch hier in Indonesien, wo er vielleicht noch stärker ist als in jeder anderen großen muslimischen Gesellschaft der Welt. Hier werden sie noch entschlossen zusammenstehen müssen, um denen, die für radikale Ziele morden und bomben, so wenig Raum zu geben wie möglich.

Szenen eines schrecklichen Morgens: Sicherheitskräfte rücken mitten in Jakarta gegen die Angreifer vor. (Foto: AP)

Die Angreifer treffen an diesem Tag ein Ziel von hoher Symbolik. Jalan Thamrin ist ein Sinnbild des indonesischen Aufstiegs. Diese Straße steht für das globalisierte Indonesien. Dass in dieser kommerzialisierten Zone nun der Terror wüten konnte, verunsichert viele, die gehofft hatten, dass die düstersten Stunden islamistischer Exzesse vorüber seien.

Die Polizei ist sich sicher, dass ein indonesischer IS-Mann hinter den Morden steckt

Der Verdacht, dass der sogenannte Islamische Staat die Bluttat zu verantworten hat, wird an diesem Tag schnell lauter. Und bis zum Abend hält die Polizei dies auch für gesichert: "Der IS steckt definitiv hinter diesem Angriff", sagt der Polizeichef von Jakarta, Tito Karnavian. Einer seiner Mitarbeiter sagt, dass die Täter die Angriffe von Paris und Istanbul nun in Jakarta fortgesetzt hätten. Karnavian ist außerdem davon überzeugt, dass ein indonesischer IS-Kämpfer namens Bahrun Naim, der noch in Syrien stecken soll, den Angriff auf Jakarta federführend geplant hat. Laut Polizei sind die Angreifer als Anhänger des IS identifiziert worden. Angeblich gehören sie alle zu einer Gruppe, die Bahrun Naim leitet. Schon zuvor hatte die dem IS nahe stehende Nachrichtenagentur Aamaak gemeldet, dass IS-Kämpfer den Angriff ausgeführt hätten. Sie sollten demnach Ausländer töten und Sicherheitskräfte, die sie beschützten.

Der indonesische Terror, der früher mit dem Netzwerk al-Qaida verknüpft war, trägt nun offenbar die Handschrift des IS. So schwer wie am Donnerstag hat es Indonesien lange nicht mehr getroffen. 2002 schockierte die Attacke auf die Clubs in Bali mit mehr als 200 Toten das Land, später gab es weitere Angriffe, auch in Jakarta. Luxushotels gerieten ins Visier und die australische Botschaft. Dennoch hatten viele Indonesier das Gefühl, dass die harte Verfolgung der Terrorgruppen, einst vor allem die al-Qaida nahestehende Jemaah Islamiah, durch indonesische Spezialeinheiten die Gefahren in ihrem Land stark eingedämmt hatte. Der Staat schien mit seiner harten Linie einigen Erfolg erzielt zu haben, wie auch Analysten und Terrorexperten immer wieder bestätigten.

Polizisten bewachen einen Tatort in der Nähe eines Einkaufszentrums. (Foto: Bagus Indahono/dpa)

In dem attackierten Café treffen sich gerne Ausländer und UN-Mitarbeiter

Doch nun wächst neues Unbehagen über das, was geschieht. Und noch mehr über das, was vielleicht noch künftig drohen könnte, wenn der IS und seine einheimischen Verbündeten entschlossen darauf setzen, Indonesien mit seinen fast 250 Millionen Menschen zu attackieren. Für alle, die hier am Donnerstagvormittag im zentralen Geschäftsviertel von Jakarta ihrer Arbeit nachgingen, kam die angreifende Terrortruppe wie aus dem Nichts. Manche trafen sich gerade zum morgendlichen Austausch auf einen Kaffee im Starbucks. Ein Treffpunkt, den auch Mitarbeiter der Vereinten Nationen gerne ansteuern und andere Ausländer, die in Jakarta leben, Geschäfte machen oder auf der Reise gerne bummeln in Shopping-Centern wie dem Sarinah, das unmittelbar neben dem Tatort liegt. Später wird die Polizei die Einschätzung abgeben, dass die Täter mit der Auswahl des Anschlagortes auch gezielt Ausländer treffen wollten. Mindestens fünf Explosionen gehen kurz nacheinander hoch, wobei schon früh von Selbstmordattentätern die Rede ist. Später verdichten sich die Hinweise, dass sich einer der Angreifer anfangs in die Luft gesprengt hat, danach sollen die übrigen Terroristen Granaten geworfen haben. Sieben Menschen sterben, darunter ein Kanadier. Mehr als 20 Menschen werden verletzt, ein niederländischer Forstexperte und UN-Mitarbeiter schweben am Abend noch in Lebensgefahr.

Ganz offensichtlich hatten viele Menschen an diesem Morgen aber auch immenses Glück, mit dem Leben davonzukommen. Das könnte auch mit dem schnellen Eingreifen der Sicherheitskräfte zu tun haben. Gleich neben dem Starbucks liegt ein Kommandoposten der Polizei, der durch die Detonationen ebenfalls beschädigt wurde. Wenige Stunden, nachdem die letzten Schüsse verhallt sind, erklärt Polizeisprecher Muhammad Iqbal: "Wir glauben, dass es keine Angreifer mehr um Sarinah herum gibt. Wir haben die Kontrolle zurückgewonnen."

Und immer wieder hören und lesen die Indonesier an diesem Tag den Aufruf ihres Präsidenten Joko Widodo: "Unsere Nation und unser Volk sollen sich nicht fürchten, wir werden von diesen Akten des Terrors nicht besiegt."

© SZ vom 15.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: