Am Dienstag wollen die Taucher ihre grauenvolle Aufgabe vor der Küste Lampedusas erfüllt haben. Dann sollen die letzten Leichen, die 40 Meter unter dem Meeresspiegel im Schiffswrack eingeschlossen sind, geborgen sein.
Mehr als 300 Tote könnte der Untergang des libyschen Flüchtlingsboots am Ende gefordert haben. Das wäre die bislang größte bekannte Katastrophe dieser Art im Mittelmeer, in dem in den vergangenen 25 Jahren Schätzungen zufolge zwischen 17.000 und 20.000 Flüchtlinge umgekommen sind.
Es muss sich etwas ändern. Was genau, davon hat Italiens Integrationsministerin Cécile Kyenge bereits länger eine Vorstellung: Die im Kongo geborene Vertreterin der Partito Democratico (PD) wirbt seit Monaten für eine Reform des Einwanderungsrechts. "Das, was passiert ist, darf nicht noch einmal geschehen", forderte sie am Wochenende bei ihrem Besuch auf Lampedusa. Später legte Kyenge in einem Interview nach: "Die Einwanderungsgesetze dürfen nicht auf Strafe ausgelegt sein." Man werde das Bossi-Fini-Gesetz überprüfen.
Bossi-Fini ist inzwischen ein Synonym für die harte Flüchtlingspolitik Italiens seit 2002. Damals sorgte Chef der rechten Lega Nord, Umberto Bossi, gemeinsam mit dem damaligen Führer der postfaschistischen Alleanza Nazionale, Gianfranco Fini, dafür, dass Asylsuchende leichter abgewiesen werden können. 2008 verschärfte die Regierung Berlusconi die Gesetze weiter: Die illegale Ein- oder Durchreise wurde zur Straftat.
Wenig Rücksicht auf nationale Gesetze oder EU-Verhaltensregeln
Viele Flüchtlinge werden seitdem ohne Rücksicht auf Formalitäten, die die nationalen Gesetze oder EU-Verhaltensregeln vorschreiben, festgesetzt und von der Polizei begleitet, wie Menschenrechtler kritisieren. Diese Strategie verletze nicht nur das in Artikel 14 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte festgeschriebene Recht, Asyl zu suchen und zu genießen, sondern auch das Schengen-Abkommen, glauben Experten wie Fulvio Vassallo Paleologo, der an der Universität Palermo Asyl- und Ausländerrecht lehrt.
Doch das Gesetz geht noch weiter - und die Konsequenzen sind immens: Wer mit seinem Boot vor den Küsten Italiens unterwegs ist und Flüchtlinge in Seenot aufnimmt, muss seit einigen Jahren zumindest theoretisch damit rechnen, sich als Schlepper strafbar zu machen.
Genau diese Tatsache könnte auch das Unglück vom Donnerstag verstärkt haben: "Drei Fischerboote wollten nicht helfen und überließen das Schiff ihrem Schicksal", berichtete Giusi Nicolini, die Bürgermeisterin von Lampedusa: "Das geschieht alles, weil unser Land Fischer schon wegen der Beihilfe zur illegalen Einreise angeklagt hat, wenn sie Flüchtlingen im Meer geholfen haben."