Italien:Signora D'Addario und das System Berlusconi

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Sie war Callgirl - zwischendurch sollte sie Politikerin werden. Nun plaudert Patrizia D'Addario über ihr Verhältnis zu Silvio Berlusconi - und seine gebrochenen Versprechen.

"So ist eben das System", sagt Patrizia D'Addario. Geschäftsleute bezahlen Frauen, damit diese Politikern Gesellschaft leisten und sie unterhalten. "Ganz Italien funktioniert so."

Patrizia D'Addario hat Silvio Berlusconi nach eigenen Angaben zwei Mal getroffen: "Ich war die einzige von allen Frauen auf Berlusconis Partys, die die Wahrheit gesagt hat." (Foto: Foto: AFP)

D'Addario muss es wissen, steht sie doch im Zentrum des großen Skandals um Ministerpräsident Silvio Berlusconi. Mindestens 17 junge Mädchen sollen dem 72-Jährigen für Sex gegen Geld zur Verfügung gestanden haben. Die Affäre rund um Tonaufnahmen und Minderjährige hält Italien seit Monaten in Atem - und lähmt den politischen Prozess. Wie soll auch ernsthafte Politik in der Öffentlichkeit stattfinden, wenn dieselbe Öffentlichkeit jeden Tag aufs Neue mit pikanten Details über die Umtriebe des Regierungschefs überschwemmt wird?

Die 42-jährige D'Addario war Teil dieses Systems - und eine von wenigen, die damit an die Öffentlichkeit gegangen sind. In der Financial Times gab sie weiter Auskunft über ihr Leben als Luxus-Callgirl.

Demnach habe sie mehrmals die Erfahrung gemacht, dass Geschäftsleute auf sie zukamen und sie fragten, ob sie Politiker "unterhalten" könne. Natürlich lässt D'Addario bei all diesen Erzählungen die Namen weg. Als sie danach gefragt wird, ob es rechte oder linke Politiker waren, sagt sie: "Es ist überall das Gleiche."

Auch bei Giampaolo T., gegen den Italiens Justiz nun wegen Korruptionsvorwürfen ermittelt, sei es so gewesen. Der Unternehmer aus Bari habe sie dem Ministerpräsidenten vorgestellt. Kurze Zeit später sollte D'Addario dann plötzlich als Kandidatin bei der Europawahl antreten. Das Ende vom Lied: Durch die Enthüllungen von Berlusconis Ehefrau Veronica Lario war D'Addarios politische Karriere beendet, bevor sie überhaupt losgegangen war.

Doch wieso der demütigende Schritt in die Öffentlichkeit? "Um mich zu verteidigen", sagt D'Addario. Und weil Berlusconi sie enttäuscht habe. Wie eine verletzte Frau wirkt sie, wenn sie von Versprechen erzählt, die der Ministerpräsident ihr gemacht, aber nie eingelöst habe.

Er habe ihr Hilfe zugesagt bei einem Konflikt mit den lokalen Behörden, die ihrer Familie bei einem Baurechtsstreit im Weg standen. Ein Streit, der ihren Vater zum Selbstmord trieb. Auch deshalb war das Thema eine Herzensangelegenheit für sie. Berlusconi habe ihr versprochen, zwei Leute zu schicken, die die Angelegenheit beschleunigen sollten. "Doch diese zwei Leute sind nie gekommen", gibt D'Addario zu Protokoll.

Berlusconi freilich verwirft diese Behauptungen. Er scheint aus der gigantischen Affäre wieder einmal mehr oder minder ungeschoren herauszukommen, auch wenn manche Umfragen seinen Ruf beschädigt und seine Beliebtheit geschwächt sehen. D'Addario trägt aber ihre öffentlichen Einlassungen wie ein Kainsmal. Sie spüre, wie man ihr aus dem Weg gehe, weil sie das oberste Gebot der Branche gebrochen habe: Diskretion.

"Ich war die einzige von allen Frauen auf Berlusconis Partys, die die Wahrheit gesagt hat", sagt D'Addario. "Wenn auch andere reden, gibt es Hoffnung, dass sich das System ändert. Aber wenn niemand spricht: Wer soll dann das System verändern?"

Ein System, von dem derzeit auch die Medien profitieren. Immer neue Enthüllungen über das Privatleben Berlusconis bescherten zwei linksgerichteten Zeitungen satte Auflagensteigerungen. Die zweitgrößte italienische Tageszeitung La Repubblica verkaufte seit Ende April täglich Zehntausende Exemplare mehr als sonst.

Auch die Internetseite der Zeitung wurde häufiger aufgerufen: Seit Mai wurden bis zu 15 Prozent mehr Klicks registriert. Nach der Veröffentlichung von Tonbandaufnahmen, die angeblich von einem Gespräch zwischen D'Addario und Berlusconi stammen, waren es sogar 25 Prozent mehr.

Die Webseite der Wochenzeitschrift L'Espresso wurde nach der Exklusiv-Veröffentlichung der Tonbandaufnahmen Mitte Juli demnach an einem einzigen Tag von fast 460.000 Internetnutzern besucht - das waren fünfmal mehr als an einem durchschnittlichen Tag im Juli.

Berlusconi selbst befeuerte das Interesse noch einmal, als er dem Magazin staatsgefährdende Machenschaften vorwarf und zu einem Anzeigenboykott aufrief. Die Verleumdungsklage, die der Konzern daraufhin gegen den Ministerpräsidenten einreichte, war der bisherige Höhepunkt der Auseinandersetzung - Fortsetzung nicht ausgeschlossen.

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