Israelische Regierung Netanjahu:Abgründe im Kuckucksnest

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Eine Skandal im Epizentrum der israelischen Politik beschäftigt das Land: Es geht um Macht und Machenschaften, um Sex und Intrigen. Im Mittelpunkt steht Natan Eschel, Büroleiter und einer der engsten Berater von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu.

Peter Münch, Tel Aviv

Es geht um Macht und Machenschaften, um Sex und um Intrigen - und die Geschichte spielt im Epizentrum der israelischen Politik. Kein Wunder also, dass diese Saga aus dem Amt des Premierministers seit Tagen schon die Schlagzeilen beherrscht.

Polarisierender Regierungschef: Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu (Foto: dpa)

Tiefe Einblicke werden geboten in die Abgründe der Regierungszentrale, und im Mittelpunkt dieser Skandal-Story aus Nahost steht Natan Eschel, Büroleiter und einer der engsten Berater von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. Eschel wird vorgeworfen, eine Mitarbeiterin verfolgt und bedrängt zu haben. Eschel bestreitet all das vehement, doch der Fall zieht weite Kreise, und der Generalstaatsanwalt hat nun eine förmliche Untersuchung eingeleitet.

Als erstes Medium hatte vorige Woche das Armee-Radio über die Affäre berichtet. Es wurden keine Namen genannt und keine Details, doch hinter der Veröffentlichung steckte gewiss ein gezieltes Interesse.

Im Premiersamt beeilte man sich, das Ganze in einer offiziellen Erklärung als "Klatsch und Tratsch" abzutun, aber die Lawine war losgetreten. Sehr schnell enthüllten die Zeitungen Eschels Namen und zeigten Bilder, die ihn stets ganz nah am Ohr des Premiers zeigten.

Opfer "R."

Berichtet wurde, dass er einer direkten Untergebenen, die nur unter dem Kürzel "R." genannt wird, über lange Zeit schon nachgestellt habe. Er soll ihre E-Mails und SMS gelesen und sie auch nach Feierabend verfolgt haben, zudem soll er einem Fernsehbericht zufolge mit seinem Mobiltelefon Fotos unter ihrem Rock gemacht haben.

Israel ist leidgeprüft bei Geschichten über sexuelle Übergriffe. Der spektakulärste Fall war die Verurteilung des früheren Staatspräsidenten Mosche Katzav wegen Vergewaltigung. Katzav verbüßt seit Dezember eine siebenjährige Haftstrafe.

Doch das Phänomen lastet auf der ganzen Gesellschaft: Einer neuen Studie des israelischen Arbeitsministeriums zufolge klagen 11,4 Prozent aller Frauen über sexuelle Belästigungen am Arbeitsplatz, in vielen Fällen durch den direkten Vorgesetzten.

Doch der Fall von Natan Eschel nahm sehr schnell noch eine machtpolitische Wende. Denn es war nicht die mutmaßlich bedrängte Frau selbst, die um Hilfe ersuchte in ihrer Not. Vielmehr waren es drei andere Mitglieder des engsten Beraterkreises um den Premierminister, die die Affäre offenbar gegen den Willen der 35-Jährigen ins Rollen brachten.

Immer wieder ist von schweren Friktionen im Machtzentrum die Rede, in der Umgebung von Netanjahu soll ein Klima des Misstrauens und der Missgunst herrschen. "Kuckucksnest" nennen Eingeweihte die Regierungszentrale, und dort wurde über dieser Affäre offenbar schon seit Wochen gebrütet.

Im Dezember bereits soll ein Triumvirat aus Kabinettssekretär Zvi Hauser, dem Militärberater General Johanan Locker und dem obersten Sprecher Joav Hendel den Fall beim Generalstaatsanwalt angezeigt haben, nachdem "R." sich intern über die Nachstellungen beklagt hatte.

Netanjahu, so heißt es, habe nicht einmal etwas gewusst von der Kabale in seinem Büro und erst aus den Zeitungen vom Skandal erfahren.

Schlachtfeld in der Regierungszentrale

Großer Schaden ist nun bereits angerichtet: Der Regierungschef, der sich eigentlich um Iran oder um die Palästinenser kümmern müsste, steht plötzlich vor einem Schlachtfeld im eigenen Amt. Sein Vertrauter Natan Eschel, der sich erst einmal für zehn Tage hat beurlauben lassen, wird zitiert mit der Forderung, dass jeder einzelne seiner Gegenspieler in hohem Bogen aus dem Amt fliegen müsse.

Doch inzwischen hat sich auch die Opposition eingeschaltet. Die Vorsitzende der Arbeiterpartei, Schelly Jachimovich, warnt den Premier davor, jene zu bestrafen, die einen sexuellen Übergriff pflichtgemäß gemeldet hätten.

Schmerzhaft zwischen die Fronten geraten ist in diesem ganzen Kampf das mutmaßliche Opfer. Sie steht unter enormem Druck und weigert sich beharrlich, zu dem Fall auszusagen. Über einen Anwalt lässt sie mitteilen, es sei ihr Recht, "selbst zu entscheiden, ob sie sich durch das Verhalten eines anderen geschädigt fühle und ob sie ihre Gefühle anderen mitteilen will". Sie pocht auf ihre "Privatsphäre" - und steht doch längst im Mittelpunkt einer Staatsaffäre.

© SZ vom 31.01.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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