Israel/Vereinigte Arabische Emirate:Aufgeschoben ist nicht aufgehoben

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Die Vereinigten Arabischen Emirate rühmen sich damit, durch das Abkommen mit Israel die Annexion des Westjordanlands verhindert zu haben. Doch so einfach wird es wohl nicht.

Von Peter Münch und Dunja Ramadan, Tel Aviv/München

Sie entfachen die Wut der Palästinenser in Nablus: Der Kronprinz von Abu Dhabi, Israels Ministerpräsident und der US-Präsident. (Foto: Majdi Mohammed/AP)

Wer bislang von Dubai aus die Vorwahl 00972 für Israel wählte, der hörte die Ansage, dass keine Verbindung hergestellt werden kann. Seit diesem Wochenende ist ein Rufzeichen zu hören. Es ist wohl eines der ersten Zeichen des am Donnerstag angekündigten Abkommens zur Normalisierung der Beziehungen zwischen Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE). In den nächsten Tagen soll eine israelische Delegation nach Abu Dhabi reisen, um das Abkommen mit Inhalten zu füllen. Der Abschluss soll dann im Weißen Haus in Washington zelebriert werden. US-Präsident Donald Trump wird es kaum erwarten können, sich als Friedensvermittler feiern zu lassen.

Auch Benjamin Netanjahu weiß, wie man einen Triumph genießt. Eben noch galt Israels Premierminister als angezählt, weil die Coronakrise seinem Land heftig zusetzt und er als Angeklagter in einem Korruptionsprozess vor Gericht steht. Nun erklärt er, sein Vorgänger Menachim Begin habe 1979 den Frieden mit Ägypten geschlossen. Jitzchak Rabin habe 1994 den Ausgleich mit Jordanien besiegelt. 26 Jahre später sieht er sich als Dritter in diesem Bunde. Die beiden anderen haben, notabene, den Friedensnobelpreis eingeheimst. Die Latte liegt also hoch - aber noch ist unklar, ob Netanjahu drüber springt oder am Ende doch unten drunter durchläuft.

Mit solchen Feinheiten jedoch will er sich derzeit nicht beschäftigen. Viel lieber preist er in höchsten Tönen die schöne neue Welt, zu der er nun die Tore geöffnet hat, mit Hilfe des US-Präsidenten als Vermittler. "Zusammen können wir eine wunderbare Zukunft schaffen", kündigt er an. Netanjahus Überschwang resultiert daraus, dass ihm die geplante Vereinbarung mit den VAE einen diplomatischen Erfolg jenseits der ausgetretenen Pfade des Nahost-Friedensprozesses beschert. Denn er muss für die Normalisierung der Beziehungen nicht den Preis bezahlen, der bislang dafür gefordert wurde: die Zustimmung zur Gründung eines palästinensischen Staats. Stattdessen spiegelt das Abkommen die neue nahöstliche Realität wieder, in der die Hauptfrontlinie nicht mehr zwischen Israelis und Palästinensern verläuft, sondern zwischen dem schiitischen Iran und seinen Verbündeten auf der einen, und den sunnitischen arabischen Staaten plus Israel auf der anderen Seite.

Die Hoffnung ist nun, dass nach den VAE auch noch andere Staaten der Region ihre Beziehungen mit Israel normalisieren. Netanjahu verheißt einen "größeren Kreis des Friedens" und eine "neue Ära zwischen Israel und der arabischen Welt". Positive Signale kommen aus Ägypten, Bahrain und Oman. Dies sei ein "historischer Schritt des Friedens", sagte der bahrainische König Hamad bin Isa al-Chalifa am Samstag in einem Telefonat mit dem Kronprinzen von Abu Dhabi, Mohammed bin Zayed. Auch das omanische Außenministerium meldete sich auf Twitter zu Wort. Es bestehe die Hoffnung, dass das Abkommen zur "Verwirklichung eines umfassenden, gerechten und dauerhaften Friedens in Nahost beiträgt". Aus dem Königreich Saudi-Arabien aber war bis Sonntag nichts als Stille zu vernehmen.

Scharfe Kritik kommt hingegen aus Teheran und Ankara: Die iranische Regierung wirft den Emiraten "einen Dolchstoß in den Rücken der Palästinenser und aller Muslime vor". Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan droht mit einem Abbruch der Beziehungen zu den VAE.

Konkret geht es um die Frage, welchen Preis Netanjahu laut der gemeinsamen Erklärung von USA, Israel und VAE für die Normalisierung der Beziehungen zahlen soll. Stichwort: Annexion des Jordantals und der israelischen Siedlungen im Westjordanland. Die Formulierung dazu lässt Raum für Interpretationen. "Suspended" heißt das englische Wort, auf das sich die drei Seiten geeinigt haben. Der US-Botschafter in Jerusalem, David Friedman, forderte bereits, im Zweifel das Wort nachzuschlagen. Dies heiße nämlich nicht, dass die in Trumps Nahostplan vorgesehene Annexion abgesagt, sondern nur aufgeschoben werde. Ins selbe Horn stößt Netanjahu, der versichert: "Ich werde niemals unser Recht auf unser Land aufgeben."

Gerichtet ist sein Blick dabei auf seine Wählerklientel, der er die Annexion im Wahlkampf noch fest versprochen hatte. Nun schimpfen die Siedler. David Elhany, Chef des einflussreichen Jescha-Siedlerrats, wirft Netanjahu Betrug vor und droht: "Erwartet nicht, dass wir still bleiben." Politisches Kapital will Naftali Bennett von der siedlernahen Partei Yamina aus der neuen Lage schlagen. Er droht dem Regierungschef ohnehin als Konkurrent im rechten Lager zunehmend gefährlich zu werden.

De facto zahlt Netanjahu den Preis eines vorläufigen Verzichts auf die Annexion wohl leichten Herzens. Er war in dieser Sache auf einen hohen Baum geklettert - und hatte in luftiger Höhe einen Sturm zu spüren bekommen. Die Europäer hatten lautstark gegen eine solche Verletzung des Völkerrechts protestiert, auch innerhalb der Regierungskoalition gab es Differenzen darüber, und aus Siedlerkreisen kam Druck, weil vielen das Vorhaben nicht weit genug ging. Das geplante Abkommen mit den VAE erlaubt es Netanjahu nun, gesichtswahrend vom Baum herabzusteigen.

Probleme dürfte die israelische Interpretation des Annexions-Passus aber den Vertretern der VAE bereiten. Dort beeilt man sich zu versichern, dass die Vereinbarung mit Israel ein "Todesstoß" für alle Annexionsträume und damit eine Rettungstat auf dem Weg zur Gründung eines Palästinenserstaats sei. Es sei gelungen, "eine Zeitbombe zu entschärfen, die eine Zwei-Staaten-Lösung bedroht hat", erklärte Anwar Gargash, Staatsminister für Auswärtige Angelegenheiten der VAE. Auch hierbei geht es um Gesichtswahrung. Schließlich steht der Vorwurf des Verrats im Raum. Die Palästinenser fühlen sich wieder einmal von einem Bruderstaat im Stich gelassen. In den sozialen Netzwerken werden die "Vereinigten Zionistischen Emirate" geschmäht. Auf dem Tempelberg wurden Plakate mit dem Konterfei des Machthabers der VAE, Mohammed bin Zayed, verbrannt. Palästinenserpräsident Mahmud Abbas rief den Botschafter aus Abu Dhabi zurück. Er fordert nun eine Dringlichkeitssitzung der Arabischen Liga.

© SZ vom 17.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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